Karliczek: Forschung macht klimafreundliche Stahlproduktion in Deutschland möglich : Datum: Pressemitteilung: 101/2020
Bundesregierung verabschiedet das „Handlungskonzept Stahl“
Hochwertiger Stahl ist zentraler Rohstoff zahlreicher deutscher Schlüsselbranchen. Ob für den Anlagen- und Maschinenbau oder die Automobilindustrie – die Stahlindustrie ist Erfolgsgarant für den Standort Deutschland. Dabei steht die Stahlbranche in starkem globalem Wettbewerb und vor tiefgreifenden Herausforderungen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Heute hat das Bundeskabinett das Handlungskonzept Stahl verabschiedet. Dazu erklärt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek:
„Ich möchte, dass wir auch künftig in Deutschland eine starke Stahlindustrie mit ihren hochwertigen Arbeitsplätzen haben. Damit uns das gelingt, gilt es jetzt die Weichenstellung im Sinne einer langfristig starken, international wettbewerbsfähigen und klimaneutralen Stahlindustrie vorzunehmen. Der Wissenschaft kommt bei diesem Transformationsprozess eine Schlüsselrolle zu – etwa, wenn es um die Erreichung der Klimaziele geht. Durch den Einsatz von Grünem Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien kann der CO2-Fußabdruck der Stahlindustrie erheblich reduziert werden.
Der Beitrag der Wissenschaft zeigt Wirkung. Seit 2016 arbeitet das BMBF-Projekt Carbon2Chem an der Umsetzung einer klimafreundlichen Stahlproduktion. Es fängt die CO2-haltigen Abgase auf, reinigt sie und wandelt sie mithilfe Grünen Wasserstoffs in Grundstoffe für Chemikalien, Kraftstoffe oder Dünger um. So wird im Technikum in Duisburg aus Hüttengasen der thyssenkrupp AG erstmalig Ammoniak und Methanol unter industriellen Realbedingungen hergestellt.
Pünktlich zur Verabschiedung des Handlungskonzepts Stahl tritt Carbon2Chem nun in die zweite Phase. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wird hierfür Fördermittel von insgesamt bis zu 75 Millionen Euro bereitstellen. Ziel ist die Validierung des Carbon2Chem-Konzepts für die großtechnische Umsetzung. Bis 2025 soll so die Grundlage für den emissionsarmen Betrieb des größten deutschen Stahlwerks gelegt werden.
Nicht weniger als 20 Millionen Tonnen CO2 kann der Carbon2Chem-Ansatz bei einer Umsetzung im großen Stil jährlich nutzbar machen. Die Übertragung des Konzepts auf andere emissionsintensive Branchen wie die Zementherstellung und Müllverbrennung sowie der Export ins Ausland birgt weitere Treibhausgas-Einsparpotenziale. Bisher wurden weltweit über 50 geeignete Stahlstandorte identifiziert.
Wir wollen zeigen, dass das, was im Technikum schon erfolgreich klappt, auch im Großen funktioniert. Denn das Klimaschutzpotential von Carbon2Chem ist enorm. Mit Carbon2Chem haben wir einen potenziellen Exportschlager für Klimaschutzlösungen ‚made in Germany‘.“
Einen weiteren vielversprechenden Ansatz für klimaneutrale Stahlproduktion erforscht das unlängst gestartete BMBF-Projekt BeWiSe beim zweitgrößten deutschen Stahlhersteller, der Salzgitter AG. Es untersucht im Rahmen des SALCOS-Konzepts die Möglichkeiten bei der Eisenreduktion Kohle durch Grünen Wasserstoff zu ersetzen. Derartige Umbauten gehen mit erheblichen Kosten und offenen Forschungsfragen einher. Die bereits abgeschlossene BMBF-Studie MACOR und das Folgeprojekt BeWiSe untersuchen diese und zeigen Möglichkeiten eines wettbewerbsfähigen Umbaus der Strahlindustrie im laufenden Betrieb auf. Die Förderung beider Vorhaben durch das BMBF beläuft sich auf rund 6 Millionen Euro.
Hintergrund:
Zu Carbon2Chem
Das Projekt Carbon2Chem erforscht, wie aus Hüttengasen der Stahlproduktion wertvolle Vorprodukte für Kraftstoffe, Kunststoffe oder Düngemittel werden. Carbon2Chem soll 20 Millionen Tonnen des jährlichen deutschen CO2-Ausstoßes der Stahlbranche wirtschaftlich nutzbar machen. Die zweite Phase von Carbon2Chem wird die entwickelten Verfahren für die großtechnische Umsetzung validieren und so die Grundlage für den emissionsarmen Betrieb legen. Dafür stehen bis 2024 weitere 75 Millionen Euro zur Verfügung.
Seit seinem Start im März 2016 hat „Carbon2Chem“ bereits große Fortschritte erzielen können. Im September 2018 wurde das gemeinsame Technikum am thyssenkrupp-Standort in Duisburg eingeweiht. Hier werden weltweit einmalig die Einzelverfahren praktisch zusammengeführt und unter Industriebedingungen im Praxisbetrieb mit realen Hüttengasen erprobt. Im März 2019 folgte die Einweihung des projekteigenen Labors am Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen. Auf 500 Quadratmetern Laborfläche und an 30 Büroarbeitsplätzen arbeitet das Partnerkonsortium gemeinsam an Verfahren zur Gasreinigung sowie zur Produktion von Methanol und höheren Alkoholen.
Die Partner aus Wissenschaft und Industrie schlagen mit Carbon2Chem eine Brücke von der Grundlagenforschung in den Markt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte das Projekt mit mehr als 60 Millionen Euro in der ersten Phase. Für die zweite Phase werden weitere 75 Millionen Euro durch das BMBF bereitgestellt. Die beteiligten Partner planen Investitionen von mehr als 100 Millionen Euro bis 2025. Für die kommerzielle Realisierung haben sie mehr als eine Milliarde Euro vorgesehen.
Zu MACOR/BeWiSe
Unter dem Projektnamen SALCOS (Salzgitter Low CO2 Steelmaking) arbeitet die Salzgitter AG in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer-Gesellschaft und weiteren Partnern an Lösungen für eine nachhaltige Stahlproduktion im Wege der sog. Direktreduktion mit grünem Wasserstoff.
Bei der Direktreduktion wird Eisenerz anstatt mit Koks mit Hilfe von Erdgas oder Wasserstoff zu Eisen reduziert, das hier als sogenanntes Eisenschwamm anfällt. Je höher dabei der Wasserstoffanteil ist, desto weniger CO2-intensiv ist der Vorgang. Vor einer Weiterverarbeitung muss der anfallende Eisenschwamm in Elektrolichtbogenöfen noch einmal aufgeschmolzen werden.
Die Einführung der Direktreduktion läuft auf einen Austausch der bestehenden koksbasierten Hochöfen hinaus. Die stufenweise Integration dieser neuen Anlagen in das bestehende Hüttenwerk ist eine der zentralen Herausforderung von SALCOS. Das BMBF fördert in diesem Zusammenhang mit der bereits abgeschlossenen Machbarkeitsstudie MACOR und dem Folgeprojekt BeWiSe.
Die Vorhaben stehen dabei komplementär zur Förderung im BMBF-Projekt Carbon2Chem. Während Carbon2Chem die Emissionsreduktion in der industrieüblichen Hochofenroute adressiert, zielen MACOR und BeWiSe auf die Etablierung eines alternativen, emissionsarmen Verhüttungsprozesses. Beide Optionen werden benötigt, um eine klimafreundliche Stahlproduktion möglich zu machen.