Stärkung der Basiskompetenzen dringend notwendig : Datum: Pressemitteilung: 84/2023
PISA 2022-Ergebnisse vorgestellt
Die schulischen Leistungen der Fünfzehnjährigen in Deutschland sind in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften merklich gesunken. Dieser Rückgang zeigt sich für Mathematik und Lesen auch in den meisten anderen OECD-Staaten. Durch die vergleichsweise stärkeren Einbußen in Mathematik und Lesen im internationalen Kontext verliert Deutschland seinen bisherigen Vorsprung im OECD-Vergleich und liegt nun auf durchschnittlichem Niveau. In den Naturwissenschaften liegt Deutschland nach wie vor über dem OECD-Durchschnitt. Der Rückgang in Mathematik im Vergleich zu 2018 beträgt minus 25 Punkte (OECD minus 17), in Lesen minus 18 Punkte (OECD minus 11) und in Naturwissenschaften minus 11 Punkte (OECD minus 2). Die langen Einschränkungen des Schulbetriebs in Deutschland sowie weitere pandemiebedingte Einschränkungen haben zu den negativen Entwicklungen beigetragen. Zudem ist die Schülerschaft heterogener geworden und der Anteil von Schülerinnen und Schülern aus Familien mit sozialen Risikolagen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Bildungserfolg ist in Deutschland nach wie vor stark ausgeprägt.
Dazu erklärt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Katharina Günther-Wünsch:
„Die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 sind besorgniserregend, sie bestätigen die Befunde der IGLU-Studie sowie der IQB-Bildungstrends 2021 und 2022. Eine zunehmend heterogene Schülerschaft stellt das Schulsystem und auch die Lehrkräfte vor enorme Herausforderungen. Zudem zeigen sich weiterhin die Auswirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen und Schulschließungen. Und wir stehen vor der Herausforderung, sicherzustellen, dass jede Schule die notwendigen Mittel erhält, um eine hochwertige Bildung zu gewährleisten. Dies umfasst nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch die Unterstützung durch qualifizierte Lehrkräfte und zeitgemäße Lehrmaterialien. Alle sind sich einig, dass es jetzt vor allem auf die Stärkung der Basiskompetenzen ankommt, und das möglichst frühzeitig. Die KMK schärft derzeit ihre Empfehlungen für die Grundschulen und bereitet eine deutliche Stärkung des Deutsch- und Mathematikunterrichts vor. Wir brauchen insbesondere eine gezielte Sprachförderung, die in der Frühen Bildung ansetzt und die Lernenden länger begleitet. Die Ergebnisse verdeutlichen zudem, dass die Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund, die selbst zugewandert sind, besondere Unterstützung benötigen. Nicht zuletzt um ihnen einen Übergang in die berufliche Ausbildung, die soziale Teilhabe und gesellschaftliche Integration zu ermöglichen.“
Dazu erklärt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung Dr. Jens Brandenburg:
„Die Befunde der PISA-Studie sind besorgniserregend. Die Daten zeigen ein generelles Absinken des Leistungsniveaus. Der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist in Deutschland nach wie vor stark, gerade auch im Vergleich mit anderen OECD-Staaten. Wir brauchen dringend eine Trendwende und müssen die Anstrengungen erhöhen, um die Grundkompetenzen aller Schülerinnen und Schüler zu stärken. Und wir brauchen dringend eine gezielte Förderung für die sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen. Als Bundesbildungsministerium stehen wir bereit, die zuständigen Länder hierbei zu unterstützen. Mit dem Startchancen-Programm wollen wir etwa 4.000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders stärken. Bis zum Ende der Programmlaufzeit wollen wir den Anteil derjenigen, die an den Startchancen-Schulen die Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Rechnen verfehlen, halbieren. Gemeinsam mit den Ländern gehen wir dieses ehrgeizige Ziel an. Laufzeit und Mittelvolumen sind dabei ein absolutes Novum im Bildungsbereich. Bund und Länder investieren insgesamt 20 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die PISA-Studie macht deutlich: Das Startchancen-Programm ist nötiger denn je. Es geht um nichts weniger als die Chancen und die Zukunft unserer Kinder.“
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
- Die mittleren Kompetenzen 15jähriger in Deutschland liegen in Mathematik bei 475 Punkten (OECD 472), in Lesen bei 480 Punkten (OECD 476) und in den Naturwissenschaften bei 492 Punkten (OECD 485).
- Damit liegen die Jugendlichen in Deutschland in Mathematik und Lesen im OECD-Durchschnitt; in den Naturwissenschaften liegt Deutschland nach wie vor über dem OECD-Durchschnitt.
- In allen drei Domänen (Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften) sind deutliche Kompetenzverluste im Vergleich zur letzten Erhebung 2018 zu verzeichnen: Mathematik minus 25 Punkte; Lesen minus 18 Punkte und Naturwissenschaften minus 11 Punkte. Der OECD-Durchschnitt verringerte sich ebenfalls, aber weniger stark als in Deutschland.
- Nach zwischenzeitlichem Anstieg der Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften bis 2012 und in Lesen bis 2015 sind seitdem Leistungsrückgänge zu verzeichnen. Das aktuelle Ergebnis in Mathematik (475 Punkte) liegt unter dem Wert von 2003 (503 Punkte).
- In Mathematik gelten 30 Prozent (OECD 31 Prozent) als leistungsschwach (unter Kompetenzstufe 2), in Lesen 26 Prozent (OECD 26 Prozent) und in den Naturwissenschaften 23 Prozent (OECD 25 Prozent). Die Anteile sind im Vergleich zu 2018 national und auf OECD-Ebene in allen drei Domänen gestiegen.
- In Mathematik gelten 9 Prozent (OECD 9 Prozent) als leistungsstark (Kompetenzstufe 5 oder 6), in Lesen 8 Prozent (OECD 7 Prozent) und in den Naturwissenschaften 10 Prozent (OECD 8Prozent). In Mathematik und Lesen haben die Anteile seit 2018 abgenommen; in den Naturwissenschaften sind sie weitgehend unverändert.
Weitere Ergebnisse:
- Herkunftsbezogene Ungleichheiten zeigen sich in allen OECD-Mitgliedsstaaten. Im internationalen Vergleich sind diese für Deutschland stark ausgeprägt und weiterhin hoch. Sozioökonomisch begünstigte Jugendliche in Deutschland übertreffen benachteiligte Schülerinnen und Schüler in Mathematik erheblich und stärker als im OECD-Durchschnitt um.
- In fast allen europäischen Staaten zeigt sich eine geringere mathematische Kompetenz bei Jugendlichen aus zugewanderten Familien im Vergleich zu Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund. Besonders starke Disparitäten zeigen sich in Deutschland.
- Vor allem zugewanderte Jugendliche der ersten Generation, die selbst nach Deutschland zugewandert sind, weisen im Durchschnitt eine deutlich niedrigere mathematische Kompetenz auf. Allerdings haben sich auch Jugendliche ohne Zuwanderungshintergrund verschlechtert, über Schulformen und Leistungsniveaus hinweg.
- Für die zweite Generation der zugewanderten Jugendlichen, deren Eltern im Ausland geboren sind, sind 2022 Kompetenzrückstände zu großen Teilen auf sozio-ökonomische Aspekte und den häuslichen Sprachgebrauch zurückzuführen.
- Nur noch knapp über die Hälfte der Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund sprechen zu Hause Deutsch (2012 72 Prozent) und in der Teilgruppe der Jugendlichen der ersten Generation sind es nur 13 Prozent (2012 36 Prozent).
- Es ist wichtig, sozio-ökonomische und zuwanderungsspezifische Effekte im Zusammenhang zu betrachten. Eltern von Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund weisen in Deutschland (sowie in nahezu allen anderen europäischen Staaten) tendenziell einen niedrigeren sozioökonomischen beruflichen Status auf als die Eltern Jugendlicher ohne Zuwanderungshintergrund.
- Jungen schnitten in Mathematik um 11 Punkte besser ab als Mädchen (OECD 9). Die Mädchen schnitten im Lesen um 20 Punkte besser ab als die Jungen (OECD 24). In den Naturwissenschaften zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen.
- Auf der Systemebene betrachtet hielten die pandemiebedingten Einschränkungen im Schulbetrieb in Deutschland länger an als im OECD-Durchschnitt.
Hintergrund
Die Programme for International Student Assessment (PISA) Studie ist eine international vergleichende Schulleistungsuntersuchung. In PISA 2022 ist Mathematik Schwerpunktfach.
PISA ist ein zweistündiger Test am Computer in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Außerdem werden von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen Fragebögen zu Hintergrundmerkmalen und Lehr-/Lernbedingungen ausgefüllt. Zusätzlich wurde in PISA 2022 ein ergänzendes Fragebogenmodul zum Lernen und Lehren während der Corona-Pandemie eingesetzt. Erstmals 2022 wurden zusätzlich Fähigkeiten im „kreativen Denken“ getestet. Diese Ergebnisse werden 2024 veröffentlicht.
Deutschland beteiligt sich seit Beginn der Erhebung im Jahr 2000 zum achten Mal. PISA wird alle drei Jahre erhoben.
Die PISA 2021-Studie wurde aufgrund der Schulschließungen durch die Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben. Auch die PISA 2022 Erhebung war von der Pandemie geprägt und fand unter teils sehr herausfordernden Bedingungen statt.
PISA wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verantwortet. Die nationalen Erhebungen werden vom Zentrum für Internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) unter Federführung von Prof. Dr. Doris Lewalter an der Technischen Universität München (TUM) koordiniert und ausgewertet.
Weltweit beteiligten sich rund 690.000 Schülerinnen und Schüler an PISA 2022, repräsentativ für 29 Millionen 15jährige in 81 Staaten und Volkswirtschaften. In Deutschland haben 6116 Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren in 257 Schulen den PISA-Test absolviert.