Wo einst das Eis den Weg versperrte : Datum: , Thema: Forschung
Noch vor einigen Jahren war diese Winterexpedition unmöglich: In einer entlegenen Region der Arktis wollen deutsche und russische Forschende den Klimawandel untersuchen. Dabei offenbart die Expedition an sich: Das Eis geht drastisch zurück.
Zwei Wochen vor dem Expeditionsstart, am 1. März 2019, läuft der russische Forschungseisbrecher Akademik Tryoshnikov in Kiel ein. Die Forscherinnen und Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung um Heidemarie Kassens haben ihre Instrumente und Messgeräte bereits in großen Boxen verstaut, um sie sicher an Bord zu transportieren. Als Heidemarie Kassens, Leiterin des BMBF-geförderten Arktisforschungsprojekts CATS, das Schiff betritt, wird sie von der russischen Besatzung freudig begrüßt. Wissenschaftlerin und Mannschaft kennen sich bereits von früheren Expeditionen, die sie im Laufe der jahrzehntelangen deutsch-russischen Kooperation in der Polarforschung gemeinsam unternommen haben.
Zwei Wochen später ist der voll beladene Eisbrecher zurück in Russland und nimmt von Murmansk aus Kurs auf die russische Inselgruppe Franz-Josef-Land. Nördlich davon in Richtung Nordpolarmeer liegt das vom Packeis bedeckte Arbeitsgebiet.
Die Forscher eine „neue Arktis“ vorfinden
An Bord sind 53 Forscherinnen und Forscher aus Deutschland und Russland, die untersuchen wollen, wie sich das arktische Meereis verändert. „Im Winter ist hier noch nie jemand gewesen“, so Kassens. „Als wir vor 20 Jahren mit dem Eisbrecher Polarstern hier waren, musste uns selbst im Sommer ein Atomeisbrecher begleiten und in diesem Winter, so sagt die Prognose jedenfalls, reicht ein einzelner Eisbrecher aus.“ In diesem Jahr werden die Forscher laut Kassens wohl eine „neue Arktis“ vorfinden. Das Eisvolumen sei seit den 1970er Jahren um 75 Prozent zurückgegangen. „Selbst wenn wir das 2-Grad-Ziel erreichen, können wir die Veränderungen, die bereits geschehen sind, nicht mehr rückgängig machen“, äußert sich Kassens besorgt.
An der Expedition nehmen auch die Meeresgeowissenschaftler Stefan Büttner, Lina Holthusen und Tjördis Störling aus Kiel teil. Büttner schreibt seine Doktorarbeit im CATS-Projekt über winzige mit dem Meerwasser treibende Partikel, die Kleinstlebewesen als Nahrung dienen. „Die veränderten Strömungsbedingungen und -geschwindigkeiten durch die zunehmend geringere Meereisbedeckung können über die Nahrungskette bedeutende Auswirkungen auf das arktische Ökosystem haben“, so Büttner.
Fünf Eisschollen sollen untersucht werden
Störling hat gerade ihre Masterarbeit am GEOMAR abgeschlossen. Auf der Expedition nimmt sie Wasserproben, um diese auf sogenannte Tracer zu untersuchen: Chemische Stoffe, mit denen sich verfolgen lässt, woher das Wasser stammt. So kann die Studentin den Einfluss von Eisbildung und Abschmelzprozessen auf die Nährstoffverteilung im Ozean abschätzen. Auch Holthusen beschäftigt sich mit der Untersuchung der Wassermassen. Die Masterstudentin an der Universität Kiel will Wasserproben für die Messungen der Treibhausgase Stickstoffoxid und Methan nehmen.
Sobald das Schiff in wenigen Tagen im Nordpolarmeer ankommt, werden die Forscherinnen und Forscher Ausschau nach einer Eisscholle halten. Hier wird sich die Akademik Tryoshnikov dann einfrieren lassen. Im Laufe der Expedition sollen fünf verschiedene Eisschollen untersucht werden, jeweils eine Woche lang. „Wir hopsen quasi von Eisscholle zu Eisscholle“, so Störling. Das Nordpolarmeer mithilfe von Forschungsstationen auf driftenden Eisschollen zu erforschen, hat in Russland eine sehr lange Tradition. Die erste sowjetische Eisdriftstation war „Nordpol-1“, die 1937 in der Nähe des Nordpols eingerichtet wurde. Die Polarforscher befürchten, dass es schwierig wird, ausreichend große und stabile Schollen zu finden, da das Eis sehr mürbe geworden sei.
Ende Mai werden die Expeditionsteilnehmer nach Deutschland zurückkehren und die gewonnenen Forschungsdaten auswerten, um ein umfassendes Bild vom Klimawandel in der Arktis und die Auswirkungen auf das Klima in Europa zu erlangen.