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Wie der kleine Sah den Krebs besiegte : Datum: , Thema: Dekade-gegen-Krebs

Dass Bundesforschungsministerin Anja Karliczek in der Kinderkrebsstation der Charité mit dem siebenjährigen Sah sprechen konnte, grenzt an ein Wunder. Sein Fall schien ausweglos – doch eine experimentelle Therapie rettete sein Leben.

Bundesministerin Anja Karliczek besucht die Kinderonkologie
Daumen hoch: Dem siebenjährigen Sah aus Nepal geht es wieder gut. Er hat den Blutkrebs besiegt. © BMBF/Hans-Joachim Rickel

Sah ist glücklich. Er spielt Videospiele, lacht, „steht“ auf Autos – er ist ein ganz normaler Siebenjähriger. Kaum etwas deutet noch darauf hin, was er bereits durchgemacht hat: Chemotherapie, Immuntherapie mit Antikörpern, Bestrahlung, Stammzelltransplantation. Nichts half dem Jungen, vier Mal kehrte sein Blutkrebs nach der Behandlung zurück. „Da wir keine Alternativen mehr hatten, entschieden wir uns für einen individuellen Heilversuch mit CAR-T-Zellen“, erzählt Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit dem Schwerpunkt Onkologie & Hämatologie an der Charité. Und der experimentelle Ansatz war erfolgreich: Gegen jede Wahrscheinlichkeit verschwanden alle Blutkrebszellen. Heute geht es Sah sehr gut – er wurde schon vor Monaten aus der Klinik entlassen. Nur zur Kontrolle kommt er noch regelmäßig in die Charité.

Dekade gegen Krebs: Kräfte mobilisieren, Forschung stärken

Nun ist es wieder so weit. Der Junge aus Nepal ist mit seiner Mutter in die Charité gekommen. Mit dabei ist auch Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Sie möchte sich ein Bild von den Erfolgen machen, die an der Charité mit neuesten Therapien erreicht wurden. Aber mehr noch: „Wir wollen, dass Patienten deutschlandweit von den neuesten Erkenntnissen der Forschung profitieren“, sagt sie. Damit das gelingt, hat das Bundesforschungsministerium Anfang des Jahres die Nationale Dekade gegen Krebs gemeinsam mit vielen Partnern gestartet. „In der Dekade mobilisieren wir alle Kräfte, um Neuerkrankungen zu verhindern, den Anteil heilbarer Krebserkrankungen weiter zu erhöhen und die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten mit Krebs spürbar zu verbessern“, so Karliczek. Voraussetzung dafür ist insbesondere die Vernetzung zwischen Wissenschaft, Gesundheitswesen, Politik und Gesellschaft. Doch vor allem braucht eines: eine starke Krebsforschung. Denn es gibt noch viele ungeklärte Fragen – und viele Therapien sind bisher noch experimentell.

Besuch Onkologie
Klinik-Direktorin Angelika Eggert spricht mit Bundesforschungsministerin Anja Karliczek über die Krebsforschung. "Kinder haben andere Krebsarten und brauchen andere Forschungsprogramme", sagt Eggert. © BMBF/Hans-Joachim Rickel

Einer dieser neuen Ansätze, der in der Kinderonkologie erprobt wird, ist die Immuntherapie mit CAR-T-Zellen. Damit können Mediziner ein zentrales Problem der Krebstherapie lösen. „Viele Krebsarten aktivieren Immunzellen nicht ausreichend und bleiben so für das Immunsystem unsichtbar“, erklärt Klinik-Direktorin Eggert. „T-Zellen sind Zellen des Immunsystems. Ihren Angriffsversuchen entziehen sich die Krebszellen durch verschiedene Maskeraden und werden so nicht mehr als gefährlich erkannt“, sagt die Expertin. Durch gentechnische Veränderungen im Labor werden aus den T-Zellen aber effiziente Tumorkiller. Die CAR-T-Therapie sorgt dafür, dass T-Zellen den Tumor als Bedrohung für den Körper wieder identifizieren und abtöten können. Vereinfacht gesagt, wird also das Abwehrsystem der Patienten künstlich „scharfgestellt“. Forschungsgelder des Berlin Institute of Health (BIH) ermöglichten die Einführung und die Weiterentwicklung der CAR-T-Zelltherapie an der Charité.

Manchmal kommt es zu massiven Nebenwirkungen

Am erfolgreichsten ist diese Therapie bei einer bestimmten Form von Blutkrebs, der akuten Leukämie – unter der auch Sah litt. „Acht von zehn Erkrankten sprechen darauf an und nicht wenige Patienten zeigen eine langfristige Wirkung“, sagt Eggert. Das heißt: Sie gewinnen zusätzliche Lebensjahre oder werden bestenfalls wieder gesund. Doch ganz ohne Risiko ist die neue Therapie nicht. „Manchmal kommt es zu massiven Nebenwirkungen. Bei etwa jedem vierten Patienten kann es zu einer so heftigen Immunreaktion kommen, dass er auf die Intensivstation muss“, erklärt Eggert. Doch auch hier zeichnet sich eine Lösung ab: Ein erprobtes Medikament, das bei Entzündungen und rheumatischen Erkrankungen eingesetzt wird, scheint auch die heftige Reaktion – den sogenannten Zytokin-Sturm – zu beruhigen. „Es ist besonders wichtig, dass solche neuen Medikamente zunächst in erfahrenen Zentren mit hoher interdisziplinärer Expertise eingesetzt werden, um die Nebenwirkungen kennenzulernen und gemeinsam mit den klinischen Behandlungspartnern Gegenmaßnahmen effizient anwenden zu können“, erklärt Eggert.

Eine weitere vielversprechende Krebstherapie ist die molekulare Diagnostik und maßgeschneiderte Tumortherapie. Dabei schauen sich die Onkologinnen und Onkologen mit modernsten Technologien Abschnitt für Abschnitt (Genom-Sequenzierung) das Erbgut der Krebszellen der kleinen Patientinnen und Patienten an. So können sie die komplexen Mechanismen besser verstehen, die zu der Erkrankung geführt haben. Aber mehr noch: „Die Analyse der molekularen Eigenschaften eines jeden Tumors eröffnet die Möglichkeit, das individuelle Rückfallrisiko des jeweiligen Patienten abzuschätzen, um die Aggressivität der Therapie daran anzupassen. Ebenso können häufig passende Medikamente ausgewählt werden, die sich gezielt gegen molekulare Eigenschaften auf der Oberfläche der Tumorzellen richten und den betroffenen Kindern so hoffentlich zukünftig eine zweite Chance geben“, erklärt Angelika Eggert. Diese Forschungsrichtung wurde als Teamarbeit von kinderonkologischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Berlin, Köln und Heidelberg über viele Jahre unter anderem durch das Bundesforschungsministerium finanziert: im Nationalen Genomforschungsnetz, im e:Med Forschungsnetzwerk sowie im Deutschen Zentrum für Translationale Krebsforschung (DKTK).

"Für uns ging die Welt unter"

Auch der kleine Matteo hat vom neuen Konzept der maßgeschneiderten Therapie profitiert. Mit drei Jahren erkrankte er an einem Neuroblastom, einer häufigen und aggressiven Tumorart im Kindesalter. „Für uns ging damals die Welt unter“, erinnert sich Vater Marcus an die schwierige Zeit. „Wir hatten dann die Chance, an einer Studie der Charité teilzunehmen.“

Die Ärzte der Charité fanden auf MatteosTumorzellen gleich mehrere Merkmale, die für eine schlechte Heilungsaussicht sprachen. Tatsächlich sprach sein Tumor, der sich im Bauchraum ausgebreitet hatte, zunächst nicht sehr gut auf die Chemotherapie an. Erst ein zusätzliches, molekular gezieltes Medikament – ein sogenannter ALK-Inhibitor – schaffte es, den Tumor so sehr zu verkleinern, dass er gut operiert werden konnte. Anschließend erhielt Matheo noch eine Stammzelltransplantation von einem Elternteil, eine Immuntherapie mit Immunzellen des Spenders, eine Antikörpertherapie und eine Bestrahlung. Mit dieser umfassenden Behandlungsstrategie ist der Junge bislang seit vielen Monaten gesund, während andere Patienten mit ähnlichen Tumoreigenschaften sehr schnell einen Rückfall der Erkrankung erleiden.

"Es ist ein tolles Gefühl, ihn wieder so lebendig zu sehen"

„Wie man sieht, ist Matteo wieder das blühende Leben“, erzählt sein Vater beim Besuch der Ministerin. „Er turnt, springt rum, geht schwimmen. Es ist ein tolles Gefühl, ihn wieder so lebendig zu sehen“, sagt der junge Familienvater. Matteo ist ein Kämpfer – und er hatte viele Mitstreiter. Seine Mutter war über ein Jahr lang stets an seiner Seite. Sein Vater kam an den Wochenenden, in der Woche arbeitete er und kümmerte er sich um Matteos Bruder Nino. Der Achtjährige hatte große Angst: „An Krebs kann man sterben“, sagt er. Umso mehr freut es ihn, dass sein Bruder heute wieder fit ist. Aber vorsorglich hält er ihm derzeit den Rücken frei: „Wenn jemand Matteo ärgert, bekommt er es mit mir zu tun“, berichtet er.

Trotz all dieser Erfolge gibt es in der Krebsforschung noch viel zu tun. Experimentelle Behandlungsstrategien müssen weiterhin in klinischen Studien mit Begleitforschung überprüft werden, um ihre Wirksamkeit zu prüfen und die Mechanismen zu verstehen. „Solange diese Prüfung nicht bestanden ist, bleiben sie Patienten vorbehalten, deren Erkrankung mit der Standardtherapie nicht erfolgreich bekämpft werden kann“, sagt Eggert. Und diese wirkt bei den meisten Kindern sehr gut: In Deutschland können bereits 82 Prozent der erkrankten Kinder dauerhaft geheilt werden. Angelika Eggert und ihre Kolleginnen und Kollegen sehen diesen Erfolg auch als Ansporn: Eines Tages soll kein Kind mehr an Krebs sterben.