Wenn das eigene Immunsystem zum Feind wird : Datum: , Thema: Forschung
Ursachen entschlüsseln, Therapien entwickeln: Seit 10 Jahren erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am DZNE Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer. Jetzt belegt eine Studie: Defekte Immunzellen im Gehirn können Alzheimer verursachen.
Den Feind umzingeln – und Stück für Stück zerlegen: Das ist die Aufgabe einer Spezialeinheit des Immunsystems. Mikroglia heißen die Immunzellen, die im Gehirn Jagd auf sogenannte Amyloid-Plaques machen. Das sind giftige Ablagerungen, die Nervenzellen im Gehirn schädigen können. Sie sind ein Kennzeichen der Alzheimer-Erkrankung. Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben kürzlich herausgefunden, wie sie künftig die Spezialeinheit in den Einsatz schicken könnten: Ein Gen namens TREM2 aktiviert die Immunzellen. Es ist damit ein sogenanntes Zielmolekül für Therapien. Soll heißen: Mit speziellen Medikamenten könnte es gelingen, den „An-Schalter“ der Immunzellen zu drücken.
Immunzellen könnten Krankheitsverlauf aber auch beschleunigen
Die Sache hat jedoch einen Haken, wie die Forschenden bei Mäusen zeigen konnten. Während TREM2 im frühen Krankheitsstadium die Plaquebildung verhindert, scheint das Molekül in einem späteren Stadium eine entgegengesetzte Wirkung zu haben. Bei Mäusen mit TREM2 wuchsen die Ablagerungen im späten Krankheitsverlauf schneller als bei Mäusen ohne TREM2. Für eine mögliche Therapie bedeutet das: Würden die Forschenden das Gen zum falschen Zeitpunkt einschalten, ginge der Schuss nach hinten los. Dann könnten sie den Krankheitsverlauf ungewollt beschleunigen – das Immunsystem selbst würde zum Feind. „Unsere Studie zeigt, dass man enorm vorsichtig sein und einen neuen Therapieansatz in Tiermodellen genau untersuchen muss, bevor man ihn an Menschen testet“, sagt Studienleiter Christian Haass. „Nach unseren Ergebnissen könnte es dramatische Folgen haben, wenn wir über das Ziel hinausschießen und die Mikroglia überaktivieren“.
Auf das perfekte Timing kommt es an
„Timing“ ist also das Schlüsselwort für zukünftige Therapien. „In der Zukunft wird es wichtig sein, dass man die Krankheit stadienspezifisch behandelt“, sagt Haass. TREM2 im frühen Krankheitsstadium zu aktivieren, könnte demnach helfen, der Bildung von Plaques entgegenzuwirken. Haass und seine Kollegen arbeiten bereits an der Entwicklung von Antikörpern, die TREM2 stabilisieren und so zu einer Aktivierung der Mikroglia führen. In mehreren Tiermodellen und mit verschiedenen experimentellen Ansätzen testen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun mögliche therapeutische Strategien und Kombinationstherapien mit anderen Medikamenten.