Tsunami-Frühwarnsystem: Schnelle Warnung vor der Welle : Datum: , Thema: vor 15 jahren
Am 26. Dezember 2004 riss eine Flutwelle im Indischen Ozean mehr als 230.000 Menschen in den Tod. Inzwischen wurde in der Region eines der modernsten Tsunami-Frühwarnwarnsysteme aufgebaut – mit Hilfe aus Deutschland.
Weggewalzte Häuser, umgeknickte Bäume, weit ins Land gespülte Schiffe und Hunderttausende Tote: Als Fernsehbilder die Zerstörung des Tsunamis an Weihnachten 2004 zeigten, kamen Expertinnen und Experten zu einer eilig einberufenen Sitzung im Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) zusammen. Die Forschenden der renommierten Helmholtz-Einrichtung erkannten, dass sie schnellstmöglich ihr Know-how in die Praxis übertragen mussten. Denn Ideen und Konzepte für Frühwarnsysteme hatten sie schon einige Jahre zuvor entwickelt.
Das war vor genau 15 Jahren. „Wir haben damals eine große Verantwortung gespürt und wollten unseren Beitrag leisten, damit sich eine Katastrophe in diesem Ausmaß nicht wiederholt“, erinnert sich Jörn Lauterjung, Erdbebenexperte am GFZ. Eine Woche nach dem Tsunami hatte sein Team ein für den Indischen Ozean maßgeschneidertes Frühwarn-Konzept entworfen. Wenige Monate später kam das Startsignal für die Forschenden: Die Bundesregierung gab grünes Licht für das Großprojekt GITEWS.
Lauterjung und seine Kolleginnen und Kollegen am GFZ wurden beauftragt, ein integriertes, innovatives und leistungsstarkes Tsunami-Frühwarnsystem in Indonesien aufzubauen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte die Entwicklung, Umsetzung sowie die anschließende Praxisphase mit rund 60 Millionen Euro. Umgesetzt wurde das Vorhaben unter der Koordination des GFZ von einer Arbeitsgemeinschaft deutscher Forschungseinrichtungen.
Das System ist weltweit gefragt
Die Entwicklung verlief rasant: Schon knapp vier Jahre nach dem Tsunami, im November 2008, wurde diese Technologie zum Schutz der Bevölkerung in Betrieb genommen. In den Folgejahren arbeiteten indonesische und deutsche Wissenschaftler an der weiteren Optimierung. Im Jahr 2011 wurde das System dann endgültig an den indonesischen Dienst für Meteorologie, Klimatologie und Geophysik übergeben.
Indonesien hat inzwischen die Funktion eines UNESCO Regional Tsunami Service Providers übernommen und übermittelt Warnungen auch an andere Länder der Region. Gleichsam entwickelte sich das Projekt zur großen Erfolgsgeschichte - das Frühwarnsystem wird weltweit nachgefragt. Heute nutzen mehrere Mittelmeer-Anrainer zentrale Komponenten von GITEWS, zudem existieren Kooperationen mit Chile, Peru und den USA.
„Das System funktioniert gut und hat die Bevölkerung schon vor zahlreichen Tsunamis gewarnt“, sagt Lauterjung. Binnen fünf Minuten nach einem Seebeben liegen erste Warnmeldungen in der Leitzentrale in Jakarta vor. Sofort werden Evakuierungsmaßnahmen ausgelöst. Den Behörden bleibt allerdings nur wenig Zeit, diese Abläufe zu koordinieren.
Die sehr kurzen Warnzeiten sind bedingt durch die Geologie Indonesiens: Der Sundabogen, eine tektonische Struktur, an der starke Erdbeben entstehen, verläuft von der Nordspitze Sumatras weitgehend parallel zur Küste bis nach Bali und Lombok. Zumeist ereignen sich Seebeben in 200 bis 250 Kilometern Entfernung zur Küste, wodurch schon nach 20 bis 40 Minuten erste Tsunamiwellen die Hauptinseln erreichen.
Doch wenn Warn- und Informationsketten auf der letzten Meile nicht richtig funktionieren, stößt auch die modernste Technik an Grenzen. „Die Herausforderung ist oft der Faktor Mensch“, betont Lauterjung. „Man kann Warnungen schnell auf Handys oder an Rundfunkstationen senden, aber die Bevölkerung muss dann schnell und richtig handeln.“
Daher organisierte das Projektteam während der Praxisphase PROTECTS, die von 2011 bis 2014 direkt an GITEWS anknüpfte, Hunderte Trainingskurse, Übungen und Schulungen für Behördenmitarbeiter und die Bevölkerung. Zudem wurden Küstenorte mit Alarmgeräten ausgerüstet, Risikokarten erstellt und Evakuierungspläne entwickelt, auf denen Gefahrenpunkte, Fluchtwege und vertikale Fluchtwege markiert sind.
Die Warnungen müssen verstanden werden
„In den Evakuierungsabläufen steckt noch viel Potenzial, um etwas Zeit einsparen zu können“, betont Lauterjung. „Im Ernstfall sollte jeder sofort die Flucht ergreifen und sich nach oben in Sicherheit bringen, zum Beispiel einen Hügel hinaufrennen - und nicht noch den Fernseher im Auto verstauen.“ Doch dieses Denken sei nur schwer zu vermitteln. Zudem müssten die Warnungen auch von jedem verstanden werden.
Von großer Bedeutung ist aus Sicht von Lauterjung daher die Bewahrung tradierten Wissens, mit dem Menschen früher Anzeichen eines Tsunamis, etwa lang andauernde starke Erdbeben oder das Zurückziehen des Wassers, erkannt haben. „Dieses Wissen ist in den modernen Ballungsräumen verloren gegangen“, betont der Wissenschaftler und berichtet, dass Bewohner kleinerer Inseln in der Nähe des damaligen Epizentrums im Dezember 2004 richtig reagiert hätten. Sie konnten sich fast alle retten.
Für seinen Einsatz erhielt der 65-Jährige, der als studierter Physiker über „verschlungene Wege“ in die Geoforschung kam und seit 1992 am GFZ Potsdam arbeitet, am 19. Dezember das Bundesverdienstkreuz – überreicht von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Es ist eine Ehrung, die ihn stolz macht. „Aber sie ist der Erfolg des gesamten Teams. Alleine kann niemand ein solches System entwickeln“, sagt er.
Auf eine Feststellung legt der Forscher zudem noch großen Wert: Perfekt ist das Frühwarnsystem nicht. „Erdbeben lassen sich nicht voraussagen“, betont Lauterjung. „Dadurch werden wir auch nie hundertprozentig verhindern können, dass Menschen zu Schaden kommen. Aber jedes gerettete Menschenleben lohnt den großen Aufwand, den wir betrieben haben.“