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"Singt die Nachtigall in Dialekten?" : Datum: , Thema: Forschung

Die Verhaltensforscherin Silke Voigt-Heucke über Berlin als Hauptstadt der Nachtigallen, naturbegeisterte Clubgänger, die die Gesänge der Nachtigallen mit der Smartphone-App aufnehmen – und über Nachtigallenweibchen, die fremd gehen.

Nachtigall
Nachtigall © Adobe Stock / Victor Tyakht

bmbf.de: Frau Voigt-Heucke, partybegeisterte Berliner wundern sich schon lange nicht mehr: Wenn Sie nachts durch die Stadt ziehen, hören sie überall Nachtigallen singen. Warum ausgerechnet in Berlin?

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Der Gesang der Nachtigall ist häufig eine besondere und unerwartete Naturerfahrung, gerade für Nachtschwärmer und Touristen, die damit in der Großstadt gar nicht rechnen.

Silke Voigt-Heucke

Silke Voigt-Heucke: Berlin ist die Hauptstadt der Nachtigallen. Wenn die Tiere Ende April aus Ghana, Tansania oder Kenia zurückkommen, baut das Weibchen sein Nest – direkt am Boden oder dicht darüber. Nötig ist dafür Unterholz, eine Falllaubschicht, eine Hecke. Das gibt es noch in Berlin, auf naturbelassenen Grünflächen und in naturnahen Parks – im Gegensatz zu vielen Großstädten, die zu aufgeräumt sind für die Nachtigall. In der Berlin leben rund 3000 Exemplare, mehr als in ganz Bayern.

Vor allem gibt es in der Stadt viele Menschen, die sich vom Gesang der Nachtigallen faszinieren lassen.

Die Biologin Silke Voigt-Heucke will gemeinsam mit Bürgern Wissenschaft betreiben. Sie leitet das Bürgerforschungsprojekt "Forschungsfall Nachtigall" am Museum für Naturkunde in Berlin.
Die Biologin Silke Voigt-Heucke will gemeinsam mit Bürgern Wissenschaft betreiben. Sie leitet das Bürgerforschungsprojekt "Forschungsfall Nachtigall" am Museum für Naturkunde in Berlin. Zuvor war die Verhaltensforscherin unter anderem an der FU Berlin, wo sie eine andere ebenfalls nachtaktive, singende Tierart erforschte: Große Abendsegler, eine Fledermausart. © Solveig Schiebel

Und ob. Der Wissensdurst und die Begeisterungsfähigkeit gerade von Leuten, die mit Natur sonst nicht viel zu tun haben, ist enorm – das hat sich in unseren Gesprächen mit Anwohnerinnen und Parkbesuchern immer wieder gezeigt. Der Gesang der Nachtigall ist häufig eine besondere und unerwartete Naturerfahrung, gerade für Nachtschwärmer und Touristen, die damit in der Großstadt gar nicht rechnen. Der Gesang ist sehr melodisch und vielseitig. Das rührt die Menschen schon seit Jahrtausenden.

Sucht sich denn das Nachtigallenweibchen zur Paarungszeit das Männchen aus, das am besten singt?

Ja! Die Männchen singen, um die Weibchen zu betören und ihr Revier zu verteidigen.Tatsächlich bevorzugen die Nachtigalldamen Männchen, die mit einem komplexeren Gesangsvortrag brillieren und ein großeres Strophenrepertoir vorweisen. Interessanterweise gehen die Gesangsfähigkeiten mit mehr Beteiligung an der Fütterung der Küken einher: indirekt wählt also ein Nachtigallweibchen über einen besonders schönen Gesang  einen besonders hingebungsvollen Vater für ihren Nachwuchs aus. Zudem gehen viele Nachtigallweibchen fremd! Meine Kollegin Conny Landgraf konnte zeigen, dass etwa jedes fünfte Küken im Nest nicht vom sozialen Vater gezeugt wurde, sondern einen nahen Nachbarn als genetischen Vater hat.

Ihr Citizen Science Projekt heißt „Forschungsfall Nachtigall“.  Wie kann man mitmachen?

Wir wollen gemeinsam mit Bürgern Wissenschaft betreiben, sie in die Forschung einbinden. Bei „Forschungsfall Nachtigall“ kann sich jeder beteiligen. Wer eine Nachtigall hört, kann ihren Gesang mit dem Smartphone aufnehmen und mit einem Klick mit unserem Projekt teilen. Die Gesänge werden dann georeferenziert auf unsere Webseite forschungsfallnachtigall.de hochgeladen: Die App, mit der wir als Partnerprojekt zusammenarbeiten, heißt „Naturblick“.  Ein spezieller Algorithmus prüft, ob es sich bei einer Aufnahme wirklich um eine Nachtigall handelt. Am Ende der Nachtigallsaison ist eine Landkarte mit Nachtigallrevieren und ihren Gesängen  entstanden. Über den Winter hinweg wollen wir gemeinsam auf einer Audioplattform auf unserer Webseite mit all unseren Bürgerforschenden die gesammelten Gesänge untersuchen.

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Tatsächlich bevorzugen die Nachtigalldamen Männchen, die mit einem komplexeren Gesangsvortrag brillieren und ein großeres Strophenrepertoir vorweisen. Interessanterweise gehen die Gesangsfähigkeiten mit mehr Beteiligung an der Fütterung der Küken einher.

Silke Voigt-Heucke

Stimmt es, dass es beim Gesang regionale Unterschiede gibt?

Die Nachtigall verblüfft nicht nur durch ziemlich laute Töne und Geräusche, sie kann daraus auch regelrechte Strophen mit zu Grunde liegender Grammatik zusammensetzen - also Lieder singen. Nachtigallen verfügen über ein riesiges Strophenrepertoire: in Berlin allein über 900 solcher Strophen! Wir wollen wissen: Singt die Nachtigall vielleicht sogar in Dialekten? Gibt es regionale Unterschiede? Gibt es Parallelen zur menschlichen Sprache? Vielleicht fallen unseren Bürgerforschenden weitere spannende offene Fragen ein, die wir gemeinsam angehen können? Ideen und eine Weiterentwicklung unserer Forschungsfragen wollen wir in Barcamps und Workshops gemeinsam mit unseren Bürgerforschenden diskutieren.

Bürgerforschung heißt: Auch Laien können zur Wissenschaft beitragen. Geht das wirklich?

Ja sicher. In unserem Projekt wollen wir zeigen, dass Wissenschaft nichts Exotisches ist, für das man ins Museum gehen muss. Viele Aufgaben wie etwa das Auffinden singender Nachtigallmännchen, das Aufnehmen der Gesänge und später das Identifizieren von bestimmen Strophen im Gesang, können sehr zuverlässig von Laien gelöst werden. Weil die Männchen standorttreu sind und sich nur in einem kleinen Territorium nah am Nest aufhalten, verrät der Gesang eindeutig ihren Wohnort. So erfahren wir: Wurden seit der letzten Erfassung neue Lebensräume erschlossen? Wie hat sich der Bestand entwickelt? Gibt es Hot Spots? No-go-Areas? Was sind die genauen Anforderungen an Stadt- und Landschaftsplanung, um die Nachtigall zum erfolgreichen Brüten zu animieren? Wir arbeiten außerdem mit Partnerschulen und Kindergärten zusammen und bieten Projekttage zur Nachtigall an, da besonders Kinder einen leichten Zugang zu dem Thema haben.

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Es gibt das Event "Picknick & Poesie", bei dem wir Gedichte über Nachtigallen gemeinsam rezitieren. AmWochenende bieten wir nachts Exkursionen in Berliner Grünanlagen an.

Silke Voigt-Heucke

„Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“, heißt es in Shakespeares Romeo und Julia. Wie werden Sie als Naturwissenschaftlerin der kulturgeschichtlichen Bedeutung der Nachtigall gerecht?

Die Nachtigallen und ihr Gesang projizieren seit je menschliche Sehnsüchte. Darum sammeln wir auch Erinnerungen, Assoziationen und Anekdoten rund um diesen wunderbaren Sänger. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Vielleicht sagen manche Leute, dass sie der Lärm in der Nacht einfach nur nervt. Oder es kann sein, dass die Wahrnehmung der Nachtigall im Osten und im Westen der Stadt ganz unterschiedlich ist. Und was berichten Menschen, in deren Heimat die Nachtigall früher regelmäßig zu hören war, nun aber verschwunden ist? Wir planen Events wie die„NachtiGala“ im Museum für Naturkunde Berlin, auf der wir uns der Forschung, aber vor allem auch der Musik zur Nachtigall widmen. Und es gibt das Event "Picknick & Poesie", an dem wir Gedichte über Nachtigallen gemeinsam rezitieren werden. Am Wochenende bieten wir nachts Exkursionen in Berliner Grünanlagen an.

Gibt es ein Nachtigallen-Event, auf das Sie sich besonders freuen?

Am meisten freue ich mich auf den Austausch mit all den vielen Menschen in Deutschland, die ebenso begeisterte Nachtigall-Fans sind wie ich!

"Forschungsfall Nachtigall"

Das Bürgerforschungs-Projekt „Forschungsfall Nachtigall“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für zwei Jahre mit rund 264.000 Euro gefördert. Es gehört zu 13 Projekten, die bis Ende 2019 die Zusammenarbeit von Bürgern und Wissenschaftlern inhaltlich und methodisch voranbringen und Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen geben sollen. Denn Bürgerbeteiligung nimmt zu. Sie ist nicht nur ein Gewinn für die vielen Freiwilligen, die sich an den Projekten beteiligen. Sie ist auch eine große Chance für die Wissenschaft. Citizen Science hat das Potenzial, die Wissenschaft nachhaltig zu stärken.