"Regenwälder sind mehr in Gefahr als je zuvor" : Datum: , Thema: amazonas-brände
Im Amazonas-Regenwald lodern bis zu 80.000 Waldbrände, große Flächen des wichtigen Ökosystems sind bereits vernichtet. Was das mit dem Klima macht und warum es 100 Jahre bis zur Regeneration dauert, erklärt Umwelt- und Waldexperte Rico Fischer.
Herr Fischer, können Sie zu Beginn vielleicht einmal kurz erklären, warum der Regenwald so wichtig für die Welt ist? Welche Funktionen übernimmt er genau?
Rico Fischer: Die tropischen Wälder sind eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde. Über die Hälfte aller Pflanzen- und Tierarten leben in diesen Wäldern. Die Regenwälder gelten als die grüne Lunge der Erde, denn sie spielen eine entscheide Rolle im Wasser- und Kohlenstoffkreislauf. Der Amazonas-Regenwald ist der größte intakte Tropenwald mit einem Anteil von ca. 18 Prozent an der globalen Waldfläche.
Diese Wälder sind bisher eine Kohlenstoffsenke, speichern also mehr Kohlenstoff als sie in die Atmosphäre abgeben. Der Amazonas Regenwald spielt dabei eine wichtige Rolle, da er insgesamt fast 80 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichert. Waldbrände sorgen aber für immense Kohlenstoffemissionen. Werden diese Waldgebiete nicht zeitnah wieder aufgeforstet, dann fehlt auf diesen Flächen das Potenzial, in Zukunft Kohlenstoff im Wald zu binden. Es könnte somit in den nächsten Jahrzehnten dazu führen, dass die Wälder von einer Kohlenstoffsenke zu einer Quelle werden mit negativen Folgen für die Erderwärmung.
Aus der Ferne betrachtet: Wie groß sind die Zerstörungen durch die vielen Brände schon jetzt?
Die Regenwälder sind jetzt noch mehr in Gefahr als je zuvor, denn in Südamerika brennen riesige Flächen. Laut Satellitenanalysen haben die Waldbrände speziell in Brasilien in diesem Jahr einen neuen Höchststand erreicht - in 2019 sind schon fast 80.000 Waldbrände ausgebrochen. Verglichen mit dem letzten Jahr hat man für den gleichen Zeitraum 85 Prozent mehr Feuer detektieren können. Dadurch werden enorme Mengen an Kohlenstoff freigesetzt und viele Tier- und Pflanzenarten bedroht.
Warum sind jetzt so viele Feuer gleichzeitig ausgebrochen? Inwieweit sind die Brände eventuell auch schon eine Folge des Klimawandels?
In der Trockenzeit, also von Mai bis Oktober, kommt es häufiger vor, dass im brasilianischen Regenwald vermehrt Waldbrände ausbrechen. Allerdings sind in diesem Jahr besonders viele Feuer zu beobachten. Die Ursachen für die Waldbrände können vielfältig sein. Die Waldbrände im Amazonas sind häufig auf die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Flächen zurückzuführen, zum Beispiel um neue Weideflächen zu schaffen. Dazu kommt eine generelle Trockenheit in vielen Gebieten der Erde, bedingt durch den Klimawandel. Das kann zu noch mehr Waldbränden führen.
Welche Folgen könnte es im schlimmsten Fall geben, wenn wirklich große Teile des Waldes abbrennen?
Die Brände führen zur Zerstörung von bisher intaktem Regenwald und zum Verlust der Artenvielfalt, aber auch zu erheblichen Kohlenstoffemissionen. Dadurch steigt die CO2 Konzentration in der Atmosphäre noch schneller an als bisher schon, mit Folgen für das Weltklima. Je mehr CO2 in der Atmosphäre ist, desto heißer wird es auf unserer Erde. Eine Einhaltung unserer Klimaziele wird damit immer schwerer.
Könnte man die Brände nicht zum Beispiel aus der Luft bekämpfen, wie das auch in anderen Ländern normal ist?
Ja, könnte man, und das wird auch so praktiziert. Der Amazonas ist allerdings sehr groß, größer als die ganze EU. Es ist eine logistische Herausforderung, die zahlreichen Brände zu löschen. Oft fehlt es an der nötigen Infrastruktur und Ausstattung. Außerdem ist der Zugang zu den Bränden sehr schwierig. Hinzu kommt die aktuelle Trockenzeit, die eine Ausbreitung der Waldbrände noch weiter anfacht. Wichtigstes Ziel sollte es deshalb sein, die Entstehung weiterer Brände zu verhindern und bestehende Feuer zu löschen – wenn möglich auch mit internationaler Hilfe.
Können sich die betroffenen Gebiete jemals vollständig erholen?
Die Regeneration einer abgebrannten Waldfläche kann sehr lange dauern. Ein großer ausgewachsener Baum im Regenwald hat oft ein Alter von über 50 bis 100 Jahre. Damit ein ganzes Waldstück regeneriert, muss mit mehr als 100 Jahren gerechnet werden. Durch höhere Temperaturen und weniger Niederschlag als Folge des Klimawandels kann sich diese Regenerationsphase wesentlich verlängern. Selbst eine Aufforstung kann nur schwer die vollständige Funktionalität eines Regenwaldes mit seinen hunderten Baumarten wiederherstellen.
Können die Menschen in Europa etwas tun?
Eine schnelle Hilfe sind Spenden für die Bekämpfung der Waldbrände und die Unterstützung von Wiederaufforstungsprojekten.
Was kann man für die Zukunft lernen? Gibt es Möglichkeiten zur Prävention?
Die meisten Waldbrände sind vom Menschen verursacht, weil mehr landwirtschaftliche Flächen benötigt werden. Man müsste den Druck auf die Landwirtschaft in Brasilien verringern. Die Landwirte in Brasilien produzieren Produkte auch für den deutschen Markt (z.B. Soja). Ein Verzicht auf solche Produkte könnte das Verlangen nach neuen landwirtschaftlichen Flächen reduzieren, hätte aber auch wirtschaftliche Folgen für Brasilien. Dies ist ein komplexer Prozess, für den es keine einfachen Lösungen gibt.
Auch in Deutschland wird wieder über Waldsterben gesprochen. Warum ist das Thema wieder aktuell?
Die monatelangen Dürren im letzten Jahr und dieses Jahr führen zu einem vermehrten Baumsterben. Die unter Stress stehenden Bäume haben oft keine Energie mehr, um genügend Harz zu produzieren. Damit können Borkenkäfer die Bäume leichter befallen. Besonders Fichten sind vom Befall des Borkenkäfers betroffen. Da im deutschen Wald oft nur wenige Baumarten vorkommen, ist dieser Wald besonders anfällig für solche Schädlinge. Ein Mischwald könnte solche Ereignisse besser verkraften.
Gibt es regionale Unterschiede und „Hotspots“, wo die neuen Probleme besonders akut sind?
Das Ökosystem Wald reagiert sehr langsam auf solche Dürren, manchmal mit einer Verspätung von sechs Monaten. Größtenteils sehen wir dieses Jahr erst die Folgen der Dürre des letzten Jahres. Das eigentliche Ausmaß der Trockenheit 2018/2019 ist somit noch gar nicht vollends zu erkennen.
Herr Fischer, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.