Multi-Organ-Chip soll Medikamenten-Tests sicherer machen : Datum: , Thema: Forschung
Ob Lunge, Niere oder Leber: Das Organsystem des Menschen baut das Team der Berliner TissUse GmbH auf Biochips nach und revolutioniert damit die Entwicklung neuer Medikamente. Denn die Chips könnten einen Großteil der Tierversuche überflüssig machen.
Der Chip ist nicht viel größer als ein Smartphone: Aber der Platz reicht aus, dass winzige dreidimensionale Organmodelle auf ihm wachsen können. Sie sind durch einen künstlichen Kreislauf miteinander verbunden. In haarfeinen Kanälen fließt eine blutähnliche Nährstofflösung, angetrieben von einer Mikropumpe, die hier die Aufgabe des Herzens übernimmt. Es ist ein so genannter Multi-Organ-Chip, der die physiologischen Abläufe im menschlichen Organismus eins zu eins widerspiegeln soll.
Chip simuliert den menschlichen Organismus
Ob Leber, Darm, Haut oder Niere, die Forscherinnen und Forscher der Berliner TissUse GmbH können auf ihrem Chip inzwischen bis zu vier Organmodelle miteinander kombinieren. Ihr Ziel ist es, zukünftig einen so genannten „Human-on-a-chip“ mit mehr als zehn Mini-Organen zu entwickeln. Das wäre ein sehr gut verwendbares Modell für die menschliche Physiologie.
Verbesserte Entwicklung von Medikamenten
Wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Recht behalten, könnte dieser „Human-on-a-Chip“ künftig bis zu 80 Prozent der Tierversuche ersetzen – und damit die Entwicklung neuer Medikamente für Menschen deutlich sicherer machen. „Bei Stoffen, die an Tieren getestet wurden, kann man nur eingeschränkt verlässliche Aussagen über ihre Wirkung beim Menschen treffen“, sagt Reyk Horland, Leiter der Geschäftsentwicklung bei der TissUse GmbH. „So verträgt die Ratte Stoffe, die für den Menschen giftig sind, weil ihre Leber diese schädlichen Substanzen umwandeln kann.“ Die Folge sei, dass vier von fünf Medikamenten-Kandidaten, die beim Tier erfolgreich getestet wurden, in klinischen Studien am Menschen nicht bestehen.
„Der Multi-Organ-Chip macht es dagegen möglich, die Wirkung von neu entwickelten Medikamenten und Chemikalien systemisch in einem humanen Modell zu überprüfen“, erklärt Horland. So wird zum Beispiel die Wirkung einer Tablette simuliert, indem der Wirkstoff zunächst auf die Miniatur-Darmwand des Chips gegeben wird. Von da aus gelangt die Substanz über die Nährstofflösung zur Miniatur-Leber. Hier können die Forscherinnen und Forscher messen, wie die Zellen reagieren und damit feststellen, ob der Wirkstoff giftig ist. „Auf dem Vier-Organ-Chip können zudem bereits komplexere Krankheitsmodelle entwickelt werden, um herauszufinden, ob potentielle Medikamente einen Heilungsprozess in den Zellen in Gang setzen“, sagt Horland. So könnten die richtigen Medikamenten-Kandidaten identifiziert werden, bevor sie in klinischen Studien an Menschen getestet werden.
Personalisierter Chip für jeden Patienten
In Zukunft können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dank dieses Chips sogar Vorhersagen für einzelne Patientengruppen wie Diabetiker treffen. Doch Horland denkt noch einen Schritt weiter: „Wir wollen einen personalisierten Chip für jeden Patienten mit seinem eigenen Zellmaterial bauen, um die Reaktionen eines Wirkstoffs individuell zu messen.“ So könnte auch die Wechselwirkung von Medikamenten bereits im Labor getestet werden, um etwa schwere Nebenwirkungen schon im Vorfeld auszuschließen.
Bald noch mehr Krankheitsmodelle auf dem Chip möglich
Zur Verbreitung des Chips hat das Forschungsteam der Technischen Universität Berlin bereits 2010 die Firma TissUse GmbH gegründet. An der Entwicklung war eine Vielzahl von akademischen und industriellen Partnern beteiligt. „Wir kooperieren auch mit einigen großen Pharma- und Kosmetikunternehmen, so etwa Beiersdorf“, sagt Horland.
Inzwischen ist die Entwicklung des Chips so weit fortgeschritten, dass auch Nervenzellen auf ihm wachsen können. Doch menschlich werde ihr Modell niemals sein, versichert Horland. An einem Multi-Organ-Chip mit Zellen von Alzheimer-Patienten könne man etwa überprüfen, ob sich durch ein Medikament die Plaques im Gehirn zurückbilden. „Wir können jedoch nicht messen, ob dadurch auch die die kognitiven Fähigkeiten des Patienten zurückkehren. Der Human-on-a-Chip wird niemals denken und fühlen können.“