Karliczek zu Corona: “Wir tun alles, was in unserer Macht steht” : Datum: , Thema: Interview
Der Kampf gegen das neue Coronavirus wird nicht am Geld scheitern, verspricht Bundesforschungsministerin Anja Karliczek im RND-Interview. "Wir sind bereit, weitere Gelder zur Verfügung zu stellen, wenn es
erfolgversprechende Projekte gibt", sagte sie.
Das Interview erschien am 28. März 2020 beim "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Das Gespräch führte Tobias Peter.
Frage: Bundesfinanzminister Olaf Scholz spricht von der Bazooka, mit der die Bundesregierung in der Corona-Krise den Sturz in den wirtschaftlichen Abgrund verhindern will. Gibt es jetzt auch eine Bazooka für die Forschung gegen Corona?
Anja Karliczek: Wir verstärken gerade in allen Bereichen mit Hochdruck unsere Unterstützung für die Forschung zum Corona-Virus und zu COVID-19. Positiv ist, dass die Wissenschaft international und auch gerade bei uns in Deutschland schon vor dem Ausbruch der Pandemie gut aufgestellt war. Nur so war es möglich, dass Professor Drosten an der Charité schon relativ rasch einen diagnostischen Corona-Test entwickeln konnte. In den vergangenen Wochen haben wir unsere Unterstützung bereits um über 300 Millionen Euro erhöht.
Wo fließt das Geld hin?
Wir haben die Unterstützung für die internationale Impfstoff-Allianz CEPI noch einmal um 140 Millionen Euro aufgestockt. CEPI hat derzeit weltweit acht Firmen und Institute mit der Entwicklung eines Impfstoffs beauftragt. In der vergangenen Woche haben wir in Deutschland ein eimaliges Projekt gestartet, die Universitätskliniken noch stärker zu vernetzen, um die Forschung und Behandlung von COVID-19 zu verbessern. Dafür stellen wir 150 Millionen Euro zur Verfügung. Für die Grundlangenforschung und die Entwicklung von Medikamenten liegen aktuell 15 Millionen Euro zusätzlich bereit.
Sie legen also nicht zuletzt einen Schwerpunkt auf die internationale Kooperation, oder?
Wissenschaft und Forschung leben von internationaler Zusammenarbeit. Gemeinsam gelingt einem so viel mehr, als wenn jeder für sich arbeitet. In der aktuellen Corona-Pandemie ist eine enge internationale Zusammenarbeit wichtiger denn je, gerade in der Forschung. Deshalb werden wir uns auch an einer von der WHO initiierten länderübergreifenden klinischen Studie beteiligen. Sie hat zum Ziel, bereits vorhandene Medikamente auf ihre Wirksamkeit gegen Covid-19 zu testen.
Scholz‘ Bazooka sind mehr als 150 Milliarden Euro neue Schulden. Sind Ihre Mittel dagegen, mit Verlaub, nicht eher eine Wasserpistole?
Wir reizen die Forschungsmöglichkeiten bis aufs Letzte aus. Wir sind bereit, weitere Gelder zur Verfügung zu stellen, wenn es erfolgversprechende Projekte gibt. Am Geld wird die Corona-Forschung nicht scheitern. Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Forschung braucht aber Zeit. Wir werden über das Projekt der Professoren Kroemer und Drosten von der Berliner Charité – ein Forschungsnetzwerk der Universitätsmedizin – die Kräfte in Deutschland nochmals bündeln. Das ist wirklich einmalig. Die Forschung tut alles, um Gesundheit und Leben zu bewahren.
Nämlich?
Die Forschung ist bei der Suche nach einem Impfstoff gegen Corona in einer sehr hohen Geschwindigkeit unterwegs. Üblicherweise dauert es von der Entwicklung eines Impfstoffs bis zu seiner Zulassung rund zehn Jahre. Wir dürfen aber die Hoffnung haben, dass es jetzt viel schneller geht. Dennoch müssen wir geduldig sein, gerade in dieser Zeit, in der sich alle nach dem schnellen Erfolg sehnen. Wir müssen davon ausgehen, dass ein Impfstoff, mit dem breitere Teile der Bevölkerung geschützt werden können, erst gegen Ende des Jahres oder Anfang des nächsten Jahres zur Verfügung steht. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden einzelne Teams noch im Laufe dieses Jahres mit klinischen Tests beginnen.
Unter dem Druck der Krise: Können wir uns bei der Zulassung von Mitteln dieselben langen Prozesse leisten wie immer?
Für die Impfstoffforschung gilt: Wir wollen so schnell wie möglich laufen – aber wir dürfen dabei nicht hinfallen. Wir müssen sicher sein, dass die Impfung wirkt und dem Patienten nicht schadet. Wir versuchen alles, um die Prozesse zu beschleunigen. Es geht in dieser Situation in Ordnung, wenn bereits unfertige Studien zur ersten Information an die Zulassungsstellen gehen. Vor der Freigabe muss aber klar sein: Der Impfstoff muss sicher und wirksam sein.
Sehen Sie es bei Medikamenten anders als bei Impfstoffen?
Geimpft werden gesunde Menschen, Medikamente gehen an Kranke. Die Forscher fangen bereits damit an, für andere Krankheiten zugelassene Medikamente darauf zu testen, ob sie auch gegen Corona wirken. Dazu muss es aber erst einmal Studien geben. Aktionismus hilft den Menschen nicht. Darüber hinaus gilt: Schon bislang machen wir in der medizinischen Praxis gelegentlich die Ausnahme, dass wir aussichtsreiche Heilversuche mit noch nicht zugelassenen Substanzen unternehmen – wenn keine andere Hilfe in Sicht ist und der schwerstkranke Patient es möchte. Diese Flexibilität wird in der Corona-Krise natürlich genutzt werden.
US-Präsident Donald Trump hatte versucht, sich einen möglichen von Unternehmensseite entwickelten Impfstoff vorab exklusiv zu sichern. Brauchen wir mehr staatliche Forschung in solchen systemkritischen Bereichen?
Als Staat fördern wir die Grundlagenforschung, aber auch die Forschung in Firmen. Über CEPI wird auch die deutsche Biotech-Firma CureVac unterstützt, deren früherer Chef offenbar beim US-Präsidenten eingeladen war. Wichtig ist aber eines: Wer eine Förderung über CEPI erhält, muss sich auch bestimmten Regeln unterwerfen. Dazu gehört, dass die Ergebnisse gerecht zugänglich gemacht werden müssen. Wichtig ist, dass wir in der Forschungsförderung einen langen Atem beweisen.
Der Virologe Christian Drosten ist ein Medienstar geworden. Glauben Sie, dass künftig mehr junge Menschen Virologen werden wollen?
Die Wissenschaft erfährt gerade eine neue Wertschätzung. Forscher aller Fachrichtungen werden gebraucht, um diese Corona-Krise zu lösen: also Virologen, Mediziner generell, aber auch Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Das gilt auch für andere Fragen. Ich setze auf einen Schub und hoffe, dass mehr junge Menschen in die Wissenschaft gehen.
Wegen des Shutdowns fällt die Schule aus – an vielen Schulen gibt es bestenfalls eine E-Mail mit ein paar Aufgaben für die Schulen. Rächt sich jetzt, dass wir die Digitalisierung an den Schulen verschlafen haben?
Die Unterschiede zwischen den Schulen sind sehr groß. Deshalb haben wir den DigitalPakt geschnürt, damit eine gute Infrastruktur und digitales Lernen selbstverständlich werden. Die Corona-Krise bietet Deutschland in Sachen digitaler Bildung eine große Chance: Wir können einen echten Mentalitätswandel schaffen. Wir sehen, wie nützlich digitale Lernangebote sein können. Alle sind jetzt bereit, es einfach mal auszuprobieren. Ich sehe eine neue Aufbruchsstimmung.
Welche Anstrengungen unternehmen Sie konkret in der Krise?
Im DigitalPakt haben wir für die kommenden Jahre 500 Millionen Euro für länderübergreifende und Landesprojekte eingeplant. Davon stehen jetzt 100 Millionen zur Abfederung der Krise zur Verfügung. Damit können kurzfristig die Infrastruktur ausgebaut und für eine begrenzte Zeit auch Lizenzen für die Nutzung digitaler Lernprogramme angeschafft werden. Darauf kommt es aktuell besonders an. Aber auch nach der Krise muss die Digitalisierung der Schulen energischer vorangetrieben werden.
Was können Sie ohne Zeitverzug für die Schulen tun?
Einen Punkt hatte ich eben genannt. Als Bund bieten wir darüber hinaus noch eine weitere Unterstützung an. Wir öffnen die Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts für alle interessierten Schulen, die kein vergleichbares Angebot des Landes oder Schulträgers nutzen können. Auch das zeigt: In diesen Wochen der Schulschließungen mobilisieren wir alle Ressourcen, damit der Unterricht zumindest teilweise stattfinden kann. Diese Schul-Cloud funktioniert gut. Sie wird von Experten des HPI in enger Kooperation mit Schulen des MINT-EC Netzwerks, das sind Gymnasien mit einem Schwerpunkt in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, entwickelt. Das ist, wenn Sie so wollen, ihr Erfolgsgeheimnis. Die beteiligten Schulen profitieren bereits davon. Viele weitere Schulen interessieren sich dafür. Deshalb erweitern wir jetzt das Angebot, damit alle interessierten Schulen diese Möglichkeit nutzen können.
Da die Kinder jetzt ganztätig zu Hause sind, kursiert der Witz: Eltern stellen fest, Lehrer ist tatsächlich ein Beruf.
Es gibt viele Witze in diesen Tagen. Humor hilft immer. Aber im Ernst: Wir verlangen den Eltern mit Kinderbetreuung im Homeoffice viel ab, davor habe ich Respekt. Ich fände es aber auch gut, wenn eine neue Wertschätzung für die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Erzieherinnen und Erzieher entstünde. Manchmal geht leider verloren, was sie alles leisten.
Schleswig-Holstein wollte kurzfristig das Abitur absagen, hat dann aber einen Rückzieher gemacht. Jetzt soll es trotz Corona überall Abiturprüfungen geben. Richtig so?
Entscheidend ist, dass die Länder sich auf eine einheitliche Linie verständigt haben. Alles andere hätte ich mir nicht vorstellen wollen – das hätte die Legitimation des Abiturs beschädigt.
Bringt der Bildungsföderalismus sich selbst immer mehr ins Abseits?
Die Welt verändert sich – auch und gerade in Sachen Bildung und Schule – schnell. Die vielen kreativen Ansätze vor Ort in diesen Tagen belegen die Stärke des Föderalismus. Wir haben insgesamt ein gutes Bildungs- und Schulsystem. Aber es muss sich weiterentwickeln. Globalisierung und Digitalisierung sowie die zunehmende Heterogenität unsere Gesellschaft stellen uns vor neue Herausforderungen. Die Länder müssen untereinander besser zusammenarbeiten – das haben die jüngsten Ereignisse wieder gezeigt. Es geht aber auch um die Zusammenarbeit mit dem Bund. Die jüngste PISA-Studie hat erhebliche Defizite in der Lesekompetenz gezeigt. Mit diesem Ergebnis kann keiner zufrieden sein. Auch in der Frage der Schulschließungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie habe ich dafür geworben, dass die Länder einen einheitlichen Maßstab anlegen. Ein einheitliches Vorgehen schafft Vertrauen. Das ist in diesen Tagen besonders wichtig – und schließt situationsbedingte Besonderheiten nicht aus.
Sie haben sich neun Tage in häusliche Quarantäne gegeben, weil sie an einer Veranstaltung mit einer Person teilgenommen haben, die später positiv auf Corona getestet wurde. Kann man ein Ministerium auch von zu Hause aus leiten?
Ja. Ich habe mich digital voll eingerichtet – und bin von Telefonkonferenz zu Videoformat geeilt. Ich habe den halben Tag Stöpsel im Ohr gehabt. Am Ende habe ich genauso viel geschafft, als wenn ich im Ministerium gewesen wäre. Manches geht am Telefon sogar schneller und strukturierter als am Konferenztisch. Dennoch ist das direkte Gespräch an einem Tisch durch nichts zu ersetzen. Ich bin auch ein sehr freiheitsliebender Mensch. Neun Tage lang nicht das Haus verlassen zu können, ist eine verdammt lange Zeit.