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Digitales Klimamodell hilft Städten bei Anpassung an Klimawandel : Datum: , Thema: Interview

Heute Hitze, morgen Starkregen: Städte müssen sich an den Klimawandel anpassen. Das Modell PALM-4U hilft durch Simulationen, Klimaanpassungs-Maßnahmen zu entwickeln und zu prüfen. Wie? Das erklärt Klimatologe Dieter Scherer, TU Berlin, im Interview.

Potsdamer Platz in Berlin
Potsdamer Platz in Berlin © Getty Images/ querbeet

Im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahme „Stadtklima im Wandel“ wird ein neues, innovatives Stadtklimamodell entwickelt. Das Stadtklimamodell PALM-4U ermöglicht es für Städte bis zu einer Fläche von Berlin atmosphärische Prozesse bis zur Ebene von Gebäuden zu simulieren. So können mit diesem Modell Analysen zur Bewertung des Stadtklimas und der Luftreinhaltung erfolgen. Darüber hinaus kann das Modell auch in den Forschungsgebieten der Wolkenphysik, Windenergie und in der Gebirgsmeteorologie angewendet werden. Mit dem Koordinator, Professor Scherer der TU Berlin, haben wir nun über die klimatischen Herausforderungen und das PALM-4U Stadtklimamodell gesprochen.

Herr Scherer, Sie arbeiten und leben in Berlin und kennen die Stadt nicht nur aus einem Computermodell. Hitzewellen werden mit dem Klimawandel voraussichtlich häufiger und intensiver werden. Wie gut ist beispielsweise Berlin auf extreme Hitze vorbereitet? Wie kann man diesem Hitzestress begegnen?

Berlin verzeichnet nach eigenen Untersuchungen im Durchschnitt rund 700 Todesfälle pro Jahr, die mit Hitze in Verbindung stehen. Das bedeutet, dass Berlin schlecht auf extreme Hitze vorbereitet ist. Diese Todesfälle werden praktisch nie allein durch Hitze verursacht, sondern durch bereits vorhandene Gesundheitsprobleme, wie etwa Herz- und Kreislauferkrankungen, die sich dann aber in langen Hitzeperioden verschlimmern. Das Stadtklimamodell PALM-4U kann zum Beispiel dazu genutzt werden, die Wirksamkeit von stadtplanerischen Maßnahmen gegen Hitzestress, zum Beispiel in Stadtvierteln mit Kliniken zu beurteilen.

Die BMBF-Fördermaßnahme „Stadtklima im Wandel“ hat gemeinsam ein neues Stadtklimamodell für die Simulation der Wirkungen von Extremwetter geschaffen – das PALM-4U. Welche Erkenntnisse gibt es aus dem Stadtklimamodell?

Das Stadtklimamodell wird derzeit weiterentwickelt und intensiv getestet. Wir wollen feststellen, mit welchen Genauigkeiten wissenschaftliche und praktische Modellanwendungen für Städte durchgeführt werden können. Die bisherigen Auswertungen anhand aufwändig erhobener Messdaten und Windkanalexperimente zeigen, dass PALM-4U ein sehr leistungsfähiges Modell für die Simulation atmosphärischer Prozesse in Städten ist. Es ist besonders überraschend, in welch hohem Umfang und Genauigkeit PALM-4U neue Einblicke in die Stadtatmosphäre ermöglicht. Die Wetter- und Klima-Verhältnisse im Straßenraum werden zum Beispiel von Prozessen in der Luft und über den Dächern bis in Höhen über zwei Kilometern beeinflusst.

Können alle Bürgerinnen und Bürger die Ergebnisse der Computersimulationen einsehen und nutzen?

Das Modell sowie ein Teil der während der Fördermaßnahme gewonnenen Mess- und Modelldaten stehen bereits jetzt öffentlich zur Verfügung. Die Datenmengen sind jedoch sehr groß, sodass spezielle digitale Werkzeuge benötigt werden, um die Ergebnisse zu nutzen. Die Erkenntnisse können zukünftig von Städten zur Entwicklung und Erweiterung ihrer Informationsangebote zum Stadtklima genutzt werden. Berlin ist hierbei mit dem Umweltatlas und dem Geo-Portal Berlin ein Vorbild für Informationsdienste zur Umwelt. Auch an der TU Berlin wird ein Portal entwickelt, das Wetter- und Klimadaten für Berlin bereitstellen wird.

Wie können Städte herausfinden, wie sich städtebauliche Maßnahmen auf Belastungen, wie Hitzestress oder die Schadstoffkonzentration in der Luft, auswirken? 

Die gegenwärtige Hitzebelastung lässt sich mit dem Stadtklimamodell PALM-4U und Beobachtungsdaten sehr gut untersuchen. Es reichen einzelne aussagekräftige Wettersituationen aus, um belastbare Informationen zum Einfluss von Hitze in städtischen Räumen zu gewinnen. Mit PALM-4U lassen sich die Auswirkungen städtebaulicher Maßnahmen auf Luftschadstoffe oder die Belastung durch Hitzestress hervorragend simulieren. So kann die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel auf der Basis gegenwärtiger Daten überprüft werden.

Nicht nur Hitze kann zur gesundheitlichen Belastung werden – auch Schadstoffkonzentrationen sind für Kleinkinder ebenso wie für ältere Menschen eine mögliche Gefahr. Kann das Stadtklimamodell aufzeigen, welchen Effekt bauliche Veränderungen haben können?

In Städten überlagern sich mehrere Umweltbelastungen. So verhindern in heißen Nächten Luftbelastung und Lärm das Öffnen der Wohnungsfenster und erhöhen somit auch die Hitzebelastung in den Schlafzimmern. PALM-4U kann die Konzentrationen von Luftschadstoffen berechnen, wenn die Emissionen der relevanten Stoffe bekannt sind oder in Szenarien vorgegeben werden. Szenarien können auch bauliche Maßnahmen und Änderungen am Stadtgrün enthalten. Gerade bei Fragen der Luftbelastung kommt es darauf an, die Genauigkeiten des Modells und der Eingangsdaten zu kennen, da es, anders als bei klimatischen Belastungen, exakt festgelegte Grenzwerte gibt, die gesetzlich eingehalten werden müssen.

Herr Scherer, wir danken Ihnen für das Gespräch!

BMBF-Fördermaßnahme „Stadtklima im Wandel – Urban Climate Under Change [UC]2“

Die zweite Phase der BMBF-Fördermaßnahme „Stadtklima im Wandel [UC]2“ im Rahmen der FONA-Strategie (Forschung für Nachhaltigkeit) ist am 1. Oktober 2019 für drei weitere Jahre gestartet. Sie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 13 Millionen Euro gefördert. Die Fördermaßnahme ist gleichzeitig der erste Baustein der Leitinitiative „Lokale Klima- und Umweltmodelle" der BMBF-Digitalstrategie und des Aktionsplans „Natürlich. Digital. Nachhaltig.". Die Leitinitiative soll Städte und Regionen mit Hilfe digitaler Anwendungen dabei helfen, Nachhaltigkeitsziele wie Resilienz, Klimaschutz und Umweltschutz zu erreichen. Dafür unterstützt das BMBF die Erforschung von digitalen Tools, die Daten und Modelle aus der Forschung nutzbar machen, für Anwender in Städten und Regionen. Ziel ist es, das in der ersten Phase entwickelte digitale Stadtklimamodell PALM-4U so weiterzuentwickeln, dass es zukünftig sowohl für wissenschaftliche als auch für stadtplanerische Fragestellungen eingesetzt werden kann. In enger Kooperation mit zwölf Städten und weiteren Partnern werden Zielsetzungen, wie zum Beispiel die Evaluierung des Modells, die Entwicklung eines gemeinsamen Datenstandards sowie die Verstetigung erarbeitet. Nach Abschluss der Fördermaßnahme werden das Stadtklimamodell PALM-4U, die erhobenen Messdaten sowie die digitalen Werkzeuge zur Evaluierung und Darstellung der Modellergebnisse der Öffentlichkeit mit einer Open-Science-Strategie vollständig zur Verfügung gestellt.