Die SONNE als Retterin in der Not : Datum: , Thema: Über uns
Eigentlich war das Forschungsschiff Sonne im Sommer 1988 für wissenschaftliche Arbeiten im Südchinesischen Meer unterwegs. Doch aus dem Auftrag wurde eine spektakuläre Seenotrettung. Jetzt trafen sich Meeresforscher, Besatzung und Gerettete wieder.
Kapitän Martin Kull erinnert sich an den Moment, als er am 21. August 1988 das kleine Holzboot inmitten des Südchinesischen Meeres sah. Sein erster Impuls: „Vorsicht war geboten, hätten ja auch Piraten sein können.“ Darum näherte sich die SONNE dem Holzboot vorsichtig. Verblüfft beobachteten die rund 50 Besatzungsmitglieder und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie von dem kleinen Fischerboot ein Korb aus geflochtenem Bambus zu Wasser gelassen wurde und auf die SONNE zukam. Von den vier Vietnamesen im Bambuskorb paddelten zwei, während ein anderer Wasser schöpfte, damit der Korb nicht unterging. Schnell wurden die vier an Bord geholt. Einer der Vietnamesen erklärte, dass sich etwa 150 Menschen in dem viel zu kleinen Holzkutter befinden würden. Schon seit drei Tagen trieben sie ohne Treibstoff und mit nur noch wenig Wasser und Nahrung auf dem Meer. Während der Gerettete sprach, beobachtet Kapitän Kull, wie immer mehr Menschen auf das Deck des Kutters strömten. Ihm wird klar: Die Vietnamesen sind in Seenot. Er trifft die einzig mögliche Entscheidung: „Wir helfen. Denn Internationales Seerecht besagt: In Seenot befindlichen Schiffen muss geholfen werden.“ Auch wenn das die lang geplanten Forschungsarbeiten beendete.
Zwei Stunden nach der ersten Sichtung befinden sich alle Flüchtlinge an Bord der SONNE. Kapitän Kull notiert ins Logbuch: „Um 13.40 Uhr beginnt in kontrollierter, ruhiger und vorsichtiger Weise die Übernahme der Flüchtlinge. Frauen und Kinder werden zuerst an Bord genommen. Der Schiffsarzt Dr. Schmidtmann kümmert sich sofort um die neu an Bord kommenden Flüchtlinge. Die zwei völlig entkräfteten Frauen, eine davon bewusstlos, werden sofort im Schiffshospital versorgt und bekommen Infusionslösungen am Tropf verabreicht.“
Aus Laboren und Gängen werden Schlafzimmer
Die Flüchtlinge werden gut versorgt. Besatzung und Wissenschaftler funktionieren Labore und Gänge zu Schlafzimmern um und spenden Kleidung und Zahnbürsten. „Die Küche sorgt für warme Teegetränke, die Stewards besorgen überzählige Decken“, schreibt der Kapitän in sein Logbuch. Die erste Mahlzeit besteht aus Reis mit Gemüse und Fleischeinlage.
Eine der Geflüchteten ist die damals 6-jährige Quynh Nhu Duong, genannt Nhu. Noch 30 Jahre nach der Flucht erinnert sich die junge Frau an die Köstlichkeiten an Bord: „Es gab grüne Äpfel und ich kannte keine Äpfel, weshalb ich meine Mutter fragte: Was ist denn das?“ Nachdem die Mutter ihr gut zugesprochen hatte, das exotische Obst zu probieren, nahm Nhu einen Bissen und war überwältigt: „Ich werde diesen Duft und diesen Geschmack niemals vergessen!“
Den Geretteten wird Asyl gewährt
Noch ist unklar, welches Ziel die SONNE ansteuern soll. Über Funk ist Kapitän Kull in Kontakt mit der Deutschen Botschaft auf den Philippinen. Auf diplomatischem Weg erwirkt Kull eine Zusage der Bundesregierung, den Geretteten Asyl zu gewähren. So nimmt die SONNE Kurs auf die philippinische Hauptstadt Manila. Nach einem Jahr in einem Flüchtlingslager auf den Philippinen wird den Geretteten Asyl in unterschiedlichen Ländern gewährt.
30 Jahre nach der Rettung treffen sich Wissenschaftler, Besatzung und Gerettete wieder. Gastgeber des Fests ist Dinh-Tan Vo, einer der Vietnamesen, der vor 30 Jahren von der SONNE aus dem Südchinesischen Meer geborgen wurde. Nhu ist froh, dass sie sich endlich persönlich bei Kapitän Kull und den anderen Rettern von der SONNE bedanken kann. Und sie ist stolz darauf, ihnen zu zeigen, was sie aus ihrem Leben gemacht hat. Heute lebt sie in der Nähe von Frankfurt und ist Lehrerin an einer Gesamtschule in Raunheim.