Die Nachtigall glänzt in Grammatik : Datum: , Thema: Forschung
So schön kann Forschung sein: Biologinnen des Naturkundemuseums haben gemeinsam mit Bürgerforschenden mehr als 1.700 Nachtigall-Lieder aufgenommen und ausgewertet. Was spaßig klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Den Erhalt der Artenvielfalt.
„Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“, heißt es in Shakespeares Romeo und Julia. Der kleine, braune Zugvogel hat es zu einiger Berühmtheit geschafft – in Märchen, Gedichten, Theaterstücken und Kunstwerken. „Fast jeder kennt die Nachtigall“, sagt Verhaltensbiologin Silke Voigt-Heucke vom Berliner Museum für Naturkunde. Wobei: Das gilt meist nur für ihren Namen. „Beim Aussehen oder Gesang hört es oft schon auf“, so die Biologin. Das brachte ihren Chef, den Tierstimmenexperte Karl-Heinz Frommolt, auf eine Idee: Er setzte Voigt-Heucke und ihr Team auf den „Forschungsfall Nachtigall“ an.
In dem Citizen Science Projekt, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird, schwärmen Biologinnen und Bürgerforschende seit Frühjahr 2018 gemeinsam durch die Nacht, um den Gesang der Nachtigall mit der App Naturblick aufzunehmen und ihre Besiedlungsmuster zu ergründen. 1.700 „Songs“ der Nachtigall finden sich bereits in der „Playlist“ der Forschenden. Silke Voigt-Heucke und ihr Team haben sie alle gehört. „Jede Aufnahme ist anders, einzigartig und faszinierend“, sagt sie. „Die Nachtigall verblüfft nicht nur durch ziemlich laute Töne und Geräusche, sie kann daraus auch Strophen mit zu Grunde liegender Syntax, ähnlich der menschlichen Grammatik, zusammensetzen – also Lieder singen“, so die Expertin.
Berliner Nachtigallen können über 2.300 verschiedene Strophen
Nachtigallen verfügen über ein riesiges Strophenrepertoire: Scheppernde Bassstrophen, wehmütige Pfeifstrophen oder lautstarke Trillstrophen. Allein die etwa 3.000 Berliner Nachtigallen greifen nach neusten Erkenntnissen der im Projekt tätigen Doktorandin Denise Bock beim Komponieren ihre Lieder auf über 2.300 verschiedene Strophen zurück. Und beim Durchhören der Songs fiel auf: Manche davon scheinen in Berlin besonders häufig vorzukommen. „Es könnte sein, dass Nachtigallen in Dialekten singen“, vermutet Voigt-Heucke. Diese lernen sie meist von ihren Vätern – und geben sie an ihre eigenen Nachkommen weiter.
Da Nachtigallmännchen stets an ihren Geburtsort – den Ort des Schlüpfens aus dem Ei – zurückkehren, bleiben regionale Gesangsunterschiede erhalten. So zumindest die Vermutung der Forschenden. Ob sie Recht haben, wird sich noch zeigen. In diesem Jahr wollen sie deutschlandweit Menschen animieren, beim Projekt mitzumachen. „Unser Ziel ist ein Strophenkatalog für ganz Europa“, sagt Voigt-Heucke.
Von der Bürgerforschung zum Artenschutz
Doch wozu soll das eigentlich gut sein? Klar ist: Dem Gesang zu lauschen, ist nur das Highlight eines ernsten Forschungsthemas. Über den individuellen Gesangsstil lassen sich Rückschlüsse auf das Verhalten einzelner Tiere ziehen. Welchen „Wohnort“ bevorzugen sie? Ziehen sie in andere Stadtviertel um? Gibt es Hot-Spots, an denen sich die Tiere sammeln – oder sogar No-Go-Areas? Wie müssen Stadt- und Landschaft gestaltet sein, um die Tiere zum Brüten zu animieren? „Hier schließt sich der Kreis zum Erhalt der Artenvielfalt“, sagt Silke Voigt-Heucke. „Unsere Forschungsergebnisse sollen später in Empfehlungen zum Naturschutz einfließen.“
Das alleine wird natürlich nicht genügen, um den drastischen Artenverlust aufzuhalten. „Man muss auch die Menschen mit ins Boot holen“, sagt Voigt-Heucke. Um das zu erreichen, haben sie und ihre Kollegin Sarah Darwin bei der Kulturgeschichte der Nachtigallen angesetzt. „Welche Erinnerungen und Emotionen verbindet ihr mit der Nachtigall? Gibt es Gedichte, Bilder, Lieder oder Geschichten über den König in der Nacht, die Euch besonders in ihren Bann gezogen haben?“, fragten die Forschenden. Und der Ansatz war erfolgreich: 588 Bürgerforschende haben bereits bei Seminaren, nächtlichen Exkursionen und anderen Veranstaltungen mitgemacht.
Bewusstsein schaffen für die biologische Vielfalt
„Über die Kultur konnten wir eine Brücke zur Biologie schlagen“, sagt Voigt-Heucke. Sei man erst einmal ungezwungen im Gespräche, lasse sich Vieles thematisieren: Was können Bürgerinnen und Bürger für die Vögel tun? „Nicht jede Brennnessel im Garten rausreißen, im Winter auch mal etwas Laub liegen lassen – das hilft den Nachtigallen, die bevorzugt in dichtem Unterwuchs am Boden ihre Nester bauen“, erklärt die Biologin. „Wir wollen, dass die Menschen die biologische Vielfalt um sie herum wieder kennenlernen. Sie sollen beim Orchester der Natur besser hinhören – und jedes einzelne Instrument zu schätzen wissen.“