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Die Hintergründe zur S3-Leitlinie : Datum: , Thema: corona und schule

Die S3-Leitlinie ist das Ergebnis der Empfehlungen aus verschiedenen Wissenschaftsfeldern zum Ablauf des Schulbetriebs in Pandemiezeiten. Im Interview erklären uns drei Wissenschaftlerinnen, die an der Leitlinie mitarbeiten, mehr dazu.

Die Antworten gaben Lisa Pfadenhauer, Eva Rehfuess und Brigitte Strahwald.

Können Sie uns vielleicht noch einmal kurz darstellen, worum es bei einer S3-Leitlinie geht? Was ist der Unterschied zu anderen Leitlinien?

Die S3-Leitlinie zu Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen ist keine klassische Medizin- sondern eine Public Health-Leitlinie zu COVID. Sie ist die erste Leitlinie überhaupt, die über die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen hinaus viele unterschiedliche Betroffene und Entscheidungsträger in den Bereichen Gesundheit und Bildung beteiligt. Es ist eine „lebende“ Leitlinie, die regelmäßig aktualisiert werden soll.  

Gab es neben den Handlungsempfehlungen, die jetzt in der Leitlinie stehen, noch weitere Empfehlungen, die diskutiert wurden, zu denen aber kein Konsens erzielt worden ist?

Die Leitliniengruppe wurde zu Beginn des Prozesses befragt, welche Maßnahmen sie im Kontext Schule in der COVID-19-Pandemie wichtig finden. Anschließend wurde gemeinsam entschieden, worauf sich die Leitlinie konzentrieren soll –  diese Empfehlungen stehen in der Kurzfassung. Lediglich ein Thema – Maßnahmen zum Infektionsschutz in der Freizeit und im außerschulischen Bereich – wurde ausgeklammert, vor allem, weil hier eine Umsetzung über die Schule schwierig wäre. Die Leitliniengruppe hält auch das Thema Testen für sehr wichtig – hier wurde aber entschieden, keine Empfehlungen zu erarbeiten. Hintergrund ist, dass sich damit bereits B-FAST beschäftigt, ein weiteres NUM-Projekt.

Insgesamt waren knapp 40 verschiedene Organisationen, Institutionen und Fachgesellschaften an dem Prozess beteiligt. Können Sie etwas dazu sagen, wie die Auswahl der Beteiligten erfolgt ist? 

Hinsichtlich der beteiligten Fachgesellschaften war es uns wichtig, möglichst alle relevanten Disziplinen vertreten zu haben – von Virologen und Epidemiologen über Kinderärzte und Kinder- und Jugendpsychiater bis hin zu Erziehungswissenschaftlern und Pädagogen. Bei der Auswahl haben wir außerdem auf eine ausgewogene Vertretung unterschiedlicher Bundesländer und Kommunen, darunter ländliche und städtische, sowie auf eine ausgewogene Geschlechterverteilung geachtet. Akteure aus dem Bildungs- und dem Gesundheitssektor sowie betroffene Interessengruppen und Behörden sollten zu etwa gleichen Teilen in der Leitliniengruppe vertreten sein.

Eva Rehfuess
Eva Rehfuess © Normal Pretschner

Wie wichtig war die Förderung des BMBF über das Netzwerk Universitätsmedizin für das Entstehen der Leitlinie?

Die Erstellung der Leitlinie wurde im COVID-19 Evidenzökosystem (CEOsys) Projekt initiiert, das im Rahmen des Nationalen Forschungsnetzwerk der Universitätsmedizin zu COVID-19 (NUM) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Ohne diese Förderung wäre eine systematische Suche und Bewertung der Evidenz nicht möglich gewesen.

Bei einer so breit gefächerten Gruppe prallen sicher oft auch sehr gegensätzliche Meinungen aufeinander. Die Sicht der Epidemiologie oder Infektiologie ist natürlich eine andere als die Sicht der Erziehungswissenschaft – wie schwierig war die Moderation des Prozesses?

Insgesamt war der Prozess davon geprägt, dass alle möglichst schnell den Schulen helfen wollten. So rückten Einzelinteressen in den Hintergrund, die konstruktive Arbeit an einer gemeinsamen Lösung in den Vordergrund. Die Zusammenarbeit in der Leitliniengruppe war trotz der Vielzahl unterschiedlicher Erfahrungen, Interessen und Perspektiven stets konstruktiv, sach- und lösungsorientiert. Das Engagement der Leitliniengruppe war  beeindruckend, es erfolgte übrigens bei den meisten ehrenamtlich.  Auf dem Weg zur Konsensfindung – was ja eine Besonderheit des Leitlinienprozesses ist – mussten immer wieder Kompromisse geschlossen werden. Aber

Für die meisten Handlungsempfehlungen war die Evidenz nur gering oder gar nicht vorhanden. Welche Art von Studien fehlen bzw. sind Ihnen gute internationale Studien bekannt, deren Ergebnisse aber noch nicht vorliegen?

Wir haben einen Cochrane Rapid Review durchgeführt. Dieser dient dazu, eine Gesamtschau der Evidenz zu erstellen, konkret haben wir systematisch nach allen Studien gesucht, die die Wirksamkeit von Maßnahmen in Schulen zur Prävention und Kontrolle von SARS-CoV-2 untersuchen. Bei einem Großteil der gefundenen und bewerteten Studien handelt es sich um Modellierungsstudien. Modellierungsstudien sind immer eine Vereinfachung der Realität. Sie können beispielsweise nicht abbilden, wie die Maßnahme „Maske“ im Schulalltag umgesetzt wird – ob Schülerinnen und Schüler sich an die Regeln halten, wann und für wie lange die Maske abgenommen wird und was auf dem Pausenhof oder Schulweg passiert. Was in unseren Augen fehlt sind Studien, die mit einem eher experimentellen Ansatz vorgehen. Eine der wenigen Ausnahmen ist eine deutsche Studie: Diese hat sich den Föderalismus zu Nutze gemacht, indem sie die unterschiedlichen Zeitpunkte der Schulöffnungen in den Bundesländern betrachtet hat. So konnte verglichen werden, wie sich die Infektionszahlen mit unterschiedlichen Maßnahmen entwickelt haben. Insgesamt waren wir sehr überrascht, dass nach einem Jahr Pandemie weltweit so wenig gute Studien vorliegen.

Bei klinischen Studien vergleicht man in der Regel eine Gruppe, die ein Medikament oder eine Therapie erhält mit einer Placebo Gruppe. Das ist für den Bereich der Schule kaum vorstellbar. Was sind die besonderen Schwierigkeiten, bei der Konzeption einer exzellenten Studie für den Schulbereich?

Schulen sind komplexe Systeme, das macht Studien so herausfordernd. Die Wirksamkeit einer Maßnahme wie beispielsweise Wechselunterricht zur Kontaktreduzierung in der Pandemie hängt von vielen Faktoren ab – gibt es andere Kontakte auf dem Schulweg, in der Notbetreuung oder im außerschulischen Bereich, wird Abstand gehalten, und vieles mehr. Aus ethischer Sicht kann zudem nicht ohne weiteres eine Gruppe Schutzmaßnahmen erhalten, die andere nicht. Dennoch ist es nicht nur dringend erforderlich Studien an Schulen durchzuführen, es ist auch möglich. Es gibt dafür mittlerweile sehr gute wissenschaftliche Ansätze, die diesen komplexen Fragestellungen gerecht werden.