Blasenentzündungen: Antibiotikum oft nicht nötig : Datum: , Thema: Forschung
Jede dritte Frau kennt es: Ein Brennen beim Wasserlassen, der Unterbauch schmerzt. Beides sind typische Anzeichen für einen Harnwegsinfekt. Eine deutsche Studie belegt nun, dass die meisten Frauen auch ohne Antibiotikum wieder gesund werden.
Heute kennen wir zwar noch Erkrankungen wie Tuberkulose, Lungenentzündung und Scharlach. Ihren Schrecken haben sie aber schon lange verloren. Wie viele andere bakterielle Infektionen auch, können sie mit Antibiotika sehr gut und effektiv behandelt werden. Leider werden aber immer mehr Bakterienstämme resistent gegen diese lebensrettenden Medikamente. Voreilige und häufige Gabe von Antibiotika sind Gründe dafür. Damit wir auch in Zukunft bakterielle Infektionen erfolgreich behandeln können, sollten daher Antibiotika gezielter eingesetzt werden.
Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie zeigt auf, dass dies bei Harnwegsinfekten zukünftig umgesetzt werden könnte, da alternative Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Bislang haben nur wenige Studien den Verlauf eines Harnwegsinfektes unter nicht-antibiotischer Therapie untersucht. Da Harnwegsinfekte sehr häufig vorkommen, könnte so eine große Zahl Antibiotikaverordnungen eingespart werden.
Die Studie: Entzündungshemmer oder Antibiotikum?
„Es ist bekannt, dass viele Frauen, die an einem Harnwegsinfekt erkranken, ein Interesse an Alternativen zur üblichen antibiotischen Behandlung haben“, sagt Idilkó Gágyor. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin, die die Studie an der Universitätsmedizin Göttingen geleitet hat, nennt damit einen Grund, warum so viele Patientinnen bereit waren, an der Studie teilzunehmen. Insgesamt wurden 494 Patientinnen mit Harnwegsinfekten in der Studie untersucht und medikamentös behandelt. ICUTI, so der Name der Studie, wurde in 42 hausärztlichen Prüfpraxen in Göttingen, Hannover und Umgebung durchgeführt.
ICUTI ist eine sogenannte doppelblinde, randomisiert-kontrollierte Studie. Das sind Studien, die wissenschaftlich die höchste Evidenz erbringen. Verglichen wurden zwei Behandlungskonzepte im Hinblick auf Wirksamkeit und Komplikationen: sofortige Gabe eines Antibiotikums versus anfängliche Behandlung mit einem entzündungsemmenden Wirkstoff und Gabe von Antibiotika nur dann, wenn es erforderlich war. Entsprechend gab es zwei Behandlungsgruppen, denen die Patientinnen per Zufall zugeordnet wurden. Eine Gruppe von 246 Patientinnen erhielt sofort ein Antibiotikum. Die anderen 248 Patientinnen bekamen das Medikament, das die Entzündung hemmt. Die Frauen wurden gebeten, sich bei anhaltenden oder zunehmenden Beschwerden wieder in der Praxis vorzustellen. So konnte ausgeschlossen werden, dass schwerere Erkrankungen unerkannt blieben. Die Medikation wurde im Falle einer Verschlechterung auf ein Antibiotikum umgestellt.
Das Ergebnis: Antibiotika sind in vielen Fällen nicht unbedingt erforderlich
Insgesamt hatte die mit Entzündungshemmern behandelte Gruppe zwar etwas stärkere Beschwerden. Zwei Drittel der Frauen wurden aber auch ohne Antibiotikum wieder gesund. In der Gruppe mit den Entzündungshemmern bekamen fünf Frauen eine Nierenbeckenentzündung, in der Gruppe mit Antibiotika hingegen nur eine. „Wir können nicht sagen, ob das Zufall ist oder durch das fehlende Antibiotikum ausgelöst wurde“, sagt Gágyor. „Klar ist: Hierzu muss weiter geforscht werden“, erläutert die Ärztin. Insgesamt wiesen die Studienteilnehmerinnen aber weniger starke und weniger lang bestehende Symptome auf, verglichen mit Patientinnen, die nicht an der Studie teilnehmen wollten oder konnten.
Die Studienergebnisse gelten für Patientinnen mit leichten bis mäßigen Beschwerden eines unkomplizierten Harnwegsinfekts. „Wir können mit Patientinnen mit leichten bis mäßigen Harnwegsinfekt-Symptomen also durchaus gemeinsam überlegen, ob sie zunächst auf Antibiotika verzichten möchten“, sagt Jutta Bleidorn, Studienleiterin am Institut für Allgemeinmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover.
„Gleichermaßen können Patientinnen, die häufig unter Harnwegsinfekten leiden, zukünftig auch ohne ärztliche Konsultation einen ersten Behandlungsversuch mit einem rezeptfrei erhältlichen Medikament starten – und hätten damit nicht nur das Antibiotikum, sondern auch einen Besuch in der Hausarztpraxis gespart“, ergänzt Gágyor.
Für Eva Hummers-Pradier, Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen und Leiterin der klinischen Prüfung der ICUTI-Studie, könnte die Beratung von Patientinnen mit Harnwegsinfektionen auch noch anders aussehen: „Wie zum Beispiel in Großbritannien üblich, kann auch eine sogenannte ‚verzögerte Verschreibung‘ erwogen werden. Das heißt, Patientinnen erhalten ein Rezept für ein Antibiotikum, das sie aber erst einlösen, falls sich die Beschwerden nicht bessern.“
Die Autorinnen erwarten, dass ihre Erkenntnisse die zukünftigen Therapieempfehlungen beeinflussen. „Die Studienergebnisse sprechen dafür, dass die nicht-antibiotischen Therapiemöglichkeiten mehr genutzt werden sollten“, sagt Koautor Guido Schmiemann vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen. Er ist Mitglied der nationalen Leitliniengruppe Harnwegsinfektionen.