Amokläufe: Schulen besser schützen : Datum: , Thema: Bildung
Amokläufe kommen nie ohne Vorwarnung: Um Lehrer und Eltern dafür zu sensibilisieren, haben Wissenschaftler ein Konzept zur Früherkennung entwickelt.
In den vergangenen Jahren hat es auch an deutschen Schulen mehrere Amokläufe gegeben, die vielen Menschen das Leben gekostet haben. Vorfälle wie in Erfurt im Jahr 2002 oder in Winnenden im Jahr 2009 haben Schüler, Eltern und Lehrer erschüttert. In Deutschland wurden seit 1999 zwölf Fälle von schwerer zielgerichteter Schulgewalt bekannt.
Amokläufe scheinen immer völlig überraschend zu geschehen. Doch dieser Eindruck täuscht. Viele Täterinnen und Täter bereiten ihren Amoklauf akribisch vor und geben ihre Pläne schon vorher preis – zum Beispiel in Internetforen.
Krisen erkennen
Das Forschungsprojekt „Networks Against School Shootings (NETWASS)“, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wurde, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Schulpersonal und Eltern für erste Anzeichen einer kritischen Entwicklung zu sensibilisieren. Ziel ist es, die Fantasien eines potenziellen Täters oder einer Täterin rechtzeitig einzuordnen und einen Amoklauf zu verhindern. Gleichzeitig soll vermieden werden, dass auffällige Jugendliche vorschnell in Verdacht geraten.
Zunächst gilt es, Veränderungen sensibel wahrzunehmen: Hat eine Schülerin oder ein Schüler zum Beispiel psychosomatische Beschwerden, zieht sich zurück, zeigt schwächere schulische Leistungen, äußert Selbstmordabsichten oder droht mit Gewalt? All dies können Symptome einer individuellen Krisensituation sein. Gibt es außerdem Anhaltspunkte für eine gewaltspezifische Entwicklung? Nicht immer sind Tatankündigungen direkt und deutlich, häufig gibt es eher indirekte Hinweise wie Rachefantasien, ein Interesse an Waffen oder die Faszination für Amokläufe.
„Wenn eine Schülerin oder ein Schüler über längere Zeit auffällig ist, zu Gewaltäußerungen zum Beispiel noch eine persönliche Krise hinzukommt, und sie oder er Zugang zu Waffen hat, dann sind das ernst zu nehmende Alarmsignale“, sagt Herbert Scheithauer vom Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Freien Universität Berlin, der das BMBF-Forschungsprojekt NETWASS leitet.
Reagieren, bevor es zu spät ist
Scheithauer hat in diesem Forschungsprojekt gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen ein Krisenpräventionsverfahren entwickelt, um potenziell gefährdete junge Menschen rechtzeitig zu erkennen und ihre Tat zu verhindern. Das Krisenpräventionsverfahren besteht aus vier Schritten:
- Hinsehen: Sensibilisiertes Schulpersonal meldet Auffälligkeiten, die situativ nicht erklärbar sind, bei einer zentralen Ansprechpartnerin/einem Ansprechpartner für Krisenprävention an der Schule.
- Überblicken: Alle Informationen, die auf eine krisenhafte Entwicklung bei einer Schülerin oder einem Schüler hindeuten, laufen dort zusammen.
- Beraten: Ein schuleigenes Krisen-Präventionsteam (bestehend aus der Schulleitung, ausgewählten Lehrkräften und einer Schulpsychologin/einem Schulpsychologen) analysiert den Hilfebedarf und leitet Unterstützungsmaßnahmen ein.
- Begleiten: Sind die Maßnahmen erfolgreich?
Dieser neue Ansatz zur Früherkennung wird bereits an über 100 Schulen in Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg umgesetzt. Auch in anderen Bundesländern werden gerade Krisenpräventionsteams aufgebaut – damit die Gefahr eines Amoklaufs weiter verringert werden kann.