Fleischreduziert glücklich: Neue Ansätze für den Wandel : Datum: , Thema: Welternährungstag
Weniger Fleisch zu essen, schützt Mensch und Umwelt – weltweit. Doch warum fällt die Umstellung so schwer? Soziologen erforschen kulturelle Leitbilder von Fleisch und Alternativen. Das soll Ansätze für den Wandel zur nachhaltigen Ernährung liefern.
Das Bewusstsein ist da: Ein hoher Fleischkonsum schadet Klima, Umwelt und der eigenen Gesundheit. Doch der Appetit auf Fleisch und tierische Produkte ist ungebremst. Dabei essen die Deutschen weit mehr Fleisch als die empfohlene Menge. Global betrachtet steigt der Fleischkonsum, vor allem in Schwellenländern wie China, Südostasien oder Südamerika. Das geht zu Lasten der wichtigsten natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser sowie Biodiversität. Es erhöht die Treibhausgasemissionen und verstärkt weltweit soziale Ungleichheiten.
Der vorherige Bioökonomierat der Bundesregierung hat deshalb bereits 2017 empfohlen, den Fleischkonsum auf die empfohlene Menge zu reduzieren und vermehrt alternative Proteinquellen zu nutzen. Andere Initiativen wie der Aufruf zum „Veggie-Day“ haben viel Aufmerksamkeit erlangt. Die Folge: Über Fleischkonsum und -produktion wird seit einigen Jahren öffentlich intensiv diskutiert. Fleischersatz aus Hülsenfrüchten, Insekten oder in-vitro Fleisch machten Schlagzeilen. Trotzdem ändern nur wenige Menschen ihre Ernährung.
Ernährungsgewohnheiten unter der Lupe
„Beim Thema Ernährung dreht sich viel um die Frage ‚Wer bin ich, wer will ich sein?‘. Die Zubereitung und der Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten sind eng an kulturelle Leitbilder und Traditionen gebunden. Gewohnheiten, Anerkennung, aber auch Geschlecht oder Klasse spielen dabei eine wichtige Rolle“, sagt Martin Winter, Wissenschaftler im BMBF-Projekt „ProteinBio Tech“. „Deshalb reicht es nicht aus, nur die Vorteile einer bestimmten Ernährungsweise hervorzuheben.“
Wofür steht Fleisch im gesellschaftlichen Kontext? Warum wird Fleischkonsum immer noch verteidigt? Das sind Fragen, denen sich der Soziologe vom Institut für Soziologie der TU Darmstadt annimmt. Dass die gängige Proteinversorgung nicht „natürlich“ festgelegt ist, zeigen weit verbreitete kulturelle und religiöse Ge- und Verbote. Fleisch wurde bereits im 19. Jahrhundert körperliche Kraft und Stärke zugeschrieben. Fleisch wurde zum Statussymbol des hart arbeitenden Mannes. Heute isst „Mann“ Fleisch aus Gründen der Fitness und der dafür empfohlenen proteinreichen Ernährung.
Der Weg zur nachhaltigen Alternative
„Wir haben in vorhergehenden Studien gesehen, dass traditionelle Muster aufbrechen. Besonders im Fitnessbereich erleben wir eine regelrechte Erosion dieses Leitbildes. Bei vielen gesundheitsbewussten Männern steht nicht mehr Fleisch per se im Vordergrund, sondern der Nährstoff Protein. Proteine entwickeln sich zu einer eigenen Produktkategorie und symbolisieren Kraft und Stärke“, sagt Martin Winter. Beobachten lässt sich das am erfolgreichen Marketing von Firmen, die ihren pflanzenbasierten Burger sehr erfolgreich mit „leckerem, nahrhaftem, nachhaltigem Protein“ für „eine bessere Zukunft“ bewerben.
Da Fleisch in westlichen Ländern die Hauptquelle für hochwertiges Protein ist, geht es bei der Fleischreduktion auch immer um die Frage alternativer Proteinquellen. Welche Rolle spielen kulturelle Leitbilder? Welche Rolle spielen Geschlecht und Sozialstatus beim Konsum von Proteinen? Wie muss ein gutes Fleischersatzprodukt aus Sicht des Produktdesigns aussehen? Was denken die Konsumenten über die Produkte? Welche Wünsche und Bedürfnisse haben die Konsumierenden? Und wie kann Handlungswissen erfolgreich weitergegeben werden? Das sind Fragen der „Proteinbio Tech“-Forschenden. Die gesellschaftliche Bedeutung von Fleisch und möglichen Alternativen ist komplex. Deshalb nehmen sie sowohl die Produktion als auch den Konsum unter die Lupe: Von teilnehmenden Beobachtungen in der Nahrungsmittelindustrie, über Gruppeninterviews in Restaurants und Kantinen sowie intensiven Gesprächen in der Ernährungsberatung.
Pflanzliche Alternativprodukte sind auf dem Vormarsch
Erste Ergebnisse zeigen: Die Fleischproduzenten reagieren auf sich wandelnde Ansprüche der Konsumenten. Fleisch soll gesünder und umweltverträglicher werden. Aber auch pflanzliche Alternativprodukte sind auf dem Vormarsch und werden von der Industrie nicht mehr nur als Nischenprodukt behandelt. Bei der Herstellung der Alternativen stehen Geschmack und Aussehen im Vordergrund, die sich vor allem an der des Fleisches orientieren soll. Und das heutige „Kernstück“, das Stück Fleisch, scheint auch den veganen und vegetarischen Ernährungsstil zu prägen und zumindest symbolisch erhalten zu bleiben.
Auch aus der Ernährungsberatung können die Forschenden bereits berichten. Die Beratungspraxis unterscheidet sich sehr stark und ist beispielsweise abhängig davon, ob sie medizinisch verordnet ist. Wie das Wissen angenommen und umgesetzt wird, hängt wiederum von vielen sozialen Faktoren wie dem Geschlecht ab. Der Blick aus der Soziologie auf das Thema ist noch recht neu. Doch gerade deshalb könnte er helfen, neue Handlungsansätze und Veränderungspotentiale für den Wandel hin zu einer nachhaltigen und gesundheitsfördernden Ernährung zu erschließen.