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Zarah Bruhn: „Ich will einen Hype um Soziale Innovationen“ : Datum: , Thema: Interview

Sozialunternehmerin Zarah Bruhn ist seit April 2022 im BMBF Beauftragte für Soziale Innovationen. Mit Herzblut will sie die Köpfe hinter solchen Innovationen stärken. Dafür will sie den größten Hebel in Bewegung setzen. „Und ich glaube, der ist im BMBF“, sagt sie.

© BMBF

Frau Bruhn, was genau sind Soziale Innovationen?

Soziale Innovationen sind Innovationen, die gesellschaftliche Herausforderungen zugunsten der Menschen lösen und dabei neue soziale Praktiken oder Organisationsmodelle hervorbringen. Dabei können sie technologieinduziert sein, müssen es aber nicht. Sie sollen das Miteinander fördern und verbessern und dabei helfen, die Herausforderungen mit neuartigen und letztlich systemverändernden Angeboten anzugehen. Soziale Innovationen können zwar, aber müssen nicht vorrangig einen kommerziellen Gewinn erzeugen. Häufig entsteht hier anderweitig ein „social return on investment“, beispielsweise indem Gesundheitskosten eingespart, Emissionen gesenkt oder Arbeitslosenzahlen verringert und so Steuereinnahmen generiert werden. Es geht also zentral um den Nutzen für Alle: Für einzelne Menschen, für die Gesellschaft als Ganzes und auch für Natur und Umwelt. Soziale Innovationen können staatliche Maßnahmen ergänzen bzw. erweitern und durch staatliche Förderung vorangetrieben oder überhaupt erst ermöglicht werden. Hier setzen wir im BMBF gezielt an. Die Handlungsfelder, in denen Soziale Innovationen entstehen und dringend gebraucht werden, sind dabei genau wie der Weg dorthin vielfältig.

Das klingt gut – aber auch sehr abstrakt. Können Sie Beispiele nennen?

Kleidertauschbörsen, die Vernetzung von Nachbarn über nebenan.de oder Car-Sharing kennt mittlerweile fast jeder. Das sind Soziale Innovationen, die viele Menschen bereits ganz regelmäßig in ihrem Alltag nutzen und von denen sie spürbar profitieren:

Private Autos stehen die meiste Zeit des Tages ungenutzt herum, in der Stadt hat auch nicht jeder Platz vor der eigenen Tür. Warum sollte dann jeder ein eigenes Auto haben? Ein „Peer-to-Peer“-Car-Sharing entlastet demgegenüber die Umwelt und sorgt für weniger verstopfte Straßen – das ist dann sinnvoll für Mensch und Natur. Das Beispiel zeigt zugleich recht gut, dass bei Sozialen Innovationen auch die nicht-intendierten Folgen mitbetrachtet werden müssen. Carsharing kann nämlich auch dazu führen, dass weniger Menschen den Öffentlichen Nahverkehr nutzen, da es mit dem gut erreichbaren Auto doch bequemer ist.

Andere Beispiele, mit denen gezielt bestimmte Personengruppen unterstützt werden, sind Mehrgenerationenhäuser, die das Mit- und Füreinander von Alt und Jung fördern, Lesepatenschaften – das ist gerade für KITA-Kinder eine gute Möglichkeit, ihre sogenannte Literalität von Anfang an zu stärken oder Mikrokredite, mit denen Kleinstunternehmen bessere Startchancen erhalten.

Zarah Bruhn, Beauftragte für Soziale Innovationen im BMBF, auf dem Tag der Industrie 2022 © BMBF/Hans-Joachim Rickel

Aber daneben gibt es noch viele weitere wichtige Ansätze. Im BMBF Programm „Gesellschaft der Ideen“ werden zum Beispiel jugendliche Intensivstraftäter oder -täterinnen mit ehemaligen und nun pädagogisch geschulten ehemaligen Strafgefangenen zusammengebracht, um gewissermaßen auf Augenhöhe gemeinsam Wege aus der Kriminalität zu erarbeiten. Denn mit Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern aus dem klassischen staatlichen Hilfebereich kann sich diese Personengruppe häufig nicht ausreichend gut identifizieren. Und dann ist es für alle Beteiligten sinnvoll, die Aufgaben hier anders zu verteilen. In der Suchthilfe gibt es übrigens ähnliche Projekte, die erfolgreich sind.

Weiteres Beispiel aus „Gesellschaft der Ideen“: Mithilfe einer digitalen Selbsthilfe-App können sich Menschen, die unter psychischen Beschwerden oder Störungen leiden, mit anderen Betroffenen unter entsprechender Anleitung in einem Online-Kurs zum Austausch treffen. Dieses erste Hilfsangebot kann eine hilfreiche Möglichkeit bieten, die teilweise sehr langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz zu überbrücken und dabei von dem wichtigen Praxiswissen anderer Erkrankter zu profitieren.

2016 haben Sie das Sozialunternehmen „socialbee“ gegründet. Was macht Ihr Unternehmen?

Wir bringen arbeitssuchende Geflüchtete mit Unternehmen zusammen und begleiten auch nach der Rekrutierung beide Seiten bei einer nachhaltigen Integration am Arbeitsplatz. So bauen wir Brücken in den Arbeitsmarkt, wirken dem Fachkräftemangel entgegen und schaffen Chancengerechtigkeit durch Festanstellungen oder Weiterbildungsprogramme.

Auf welche Hürden sind Sie bei der Startup-Gründung gestoßen?

Die größte Hürde war, dass damals Social Entrepreneurship, also Sozialunternehmertum, noch kaum jemand kannte. Gründerstipendien gab es für technologische Innovationen, aber nicht für Soziale Innovationen. Mein Startup-Kapital waren eigene Ersparnisse und Unterstützung durch meine Familie. Ich habe privat das volle Risiko getragen. So geht es leider vielen Startup-Gründerinnen und -gründern – und das Risiko schreckt viele ab. 

…und das wollen Sie nun ändern, wenn Sie die Rahmenbedingungen für Soziale Innovationen mitgestalten?

Genau! Mir ist es wichtig, dass mehr Kapital für Soziale Innovatorinnen und Innovatoren bereitgestellt wird. Gemeinsam mit der Ministerin Stark-Watzinger möchte ich bestehende Förderprogramme öffnen und neue Programme auf den Weg bringen. Gemeinwohlorientierte Unternehmen stärker zu unterstützen, ist ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag. Das gehen wir nun an.

Waren Sie überrascht, als die Ministerin Sie mit an Bord holen wollte?

Ja – und ich habe mich riesig gefreut. Ich brenne für Soziale Innovationen und will mehr Bewusstsein für das Thema schaffen. Ich will anpacken, etwas bewirken, Fortschritt ermöglichen – kurz: einen Hype um Soziale Innovationen entfachen. Dafür muss man dorthin gehen, wo der größte Hebel ist. Und ich glaube, der größte Hebel ist hier im BMBF.

Was wollen Sie zuerst anpacken?

Aktuell arbeiten wir an einer ressortübergreifen Strategie für Soziale Innovationen, in der wir klare Ziele und Maßnahmen benennen, wie wir in Zukunft die Entwicklung von Sozialen Innovationen unterstützen wollen. Wir starten die „Gesellschaft der Innovationen- Hyperloop an Hochschulen“ – eine Förderung, die auf die eben schon genannte „Gesellschaft der Ideen“ folgt. In Hochschulen wollen wir Promovierende und Studierende motivieren, ihre Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln und in die breite Praxis zu übertragen. Im Rahmen eines digitalen Events treten sie mit ihren Ideen in den Wettbewerb. Während der folgenden zwei Förderphasen sollen auch die Transfer- und Gründungszentren an den Hochschulen eine zentrale Rolle einnehmen, um auch dort für die Themen Soziale Innovationen und Sozialunternehmertum zu sensibilisieren.

Darüber hinaus möchten wir alle Förderprogramme des BMBF für Soziale Innovationen öffnen; und auch in der geplanten „Deutschen Agentur für Transfer und Innovationen (DATI)“ sollen Soziale Innovationen berücksichtigt werden. Zudem planen wir eine Plattform für Soziale Innovationen, um alle Akteure am Markt besser zu vernetzen, über Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten zu informieren und Best Practices für Unterstützerinnen und Unterstützer bereitzustellen.

… und langfristig: Welche Bilanz wollen Sie nach vier Jahren ziehen können?

Ich wäre richtig stolz, wenn wir in vier Jahren sagen können, dass wir Soziale Innovationen auf ein neues Level gehoben haben. Das Thema muss in der Gesellschaft ankommen: Aus vielen Ideen sollen Lösungen geworden sein, von denen die Gesellschaft erkennbar profitiert. Ich bin überzeugt, dass meine Arbeit im BMBF der richtige Hebel ist, um all das zu erreichen.

Frau Bruhn, wir danken Ihnen für das Gespräch.