Klimawandel in Deutschland: Schutz für Städte und Regionen : Datum: , Thema: Klimaforschung
Hitzeperioden, Starkregen, Sturmfluten: Der Klimawandel ist in Deutschland vielerorts spürbar – doch je nach Region drohen andere Gefahren. Stadt- und Landschaftsplanung darauf vorzubereiten, ist das Ziel von Umweltökonom Jesko Hirschfeld.
Herr Prof. Hirschfeld, im Projekt ISAP wollen Sie die lokalen Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland erforschen. Wie wollen Sie das messen – heiße Tage und starken Regen gab es doch auch früher schon?
Genau, allerdings sind heiße Tage und starker Regen als Wetterereignisse durch den Klimawandel bereits jetzt häufiger und intensiver geworden – und da blüht uns in Zukunft noch deutlich Schlimmeres. Wichtig ist es, nicht die einzelnen Wetterereignisse zu betrachten, sondern die über einen langen Zeitraum gemessenen und modellierten Klimadaten. Erst dadurch wird der Klimawandel sichtbar. Uns interessieren daher unter anderem die in den nächsten Jahrzehnten zu erwartenden Tageshöchsttemperaturen, die Zahl der Hitzetage, die tropisch warmen Nächte und natürlich die Niederschlagsmengen pro Tag und Stunde. Die Temperaturwerte sind wichtig, um die gesundheitliche Belastung der Bevölkerung abzuschätzen und die Niederschlagswerte brauchen wir, um Überflutungsgefahren und die möglichen Schäden und Kosten abzubilden.
Warum sind regionale Klimadaten so wichtig?
Wir wollen möglichst genau wissen, was uns in den nächsten Jahren in welcher Stadt und Region erwartet. Dafür brauchen wir lokale Daten und keine deutschlandweiten Durchschnittswerte. Denn Deutschlands Landschaften und die Klimazonen sind viel zu vielfältig. Die Niederschläge im Nordwesten und vor allem an den Alpen sind ein Vielfaches höher als in Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Beim Starkregen kommt es besonders auf die Topografie an: Da wird es in engen Tälern, wie an der Ahr, bei extremem Regen sehr viel schneller lebensgefährlich als in einer weiten, flachen Landschaft, wie in Brandenburg.
Wie sieht es denn deutschlandweit bei den Temperaturen aus?
In Südwestdeutschland liegen die Temperaturen beispielsweise generell deutlich höher als im Nordosten. Ein Temperaturanstieg von zwei Grad kann in Stuttgart oder Karlsruhe daher gravierendere Folgen für die Gesundheit der Stadtbevölkerung haben als in Hamburg oder Stralsund, weil im Süden möglicherweise kritische Schwellen überschritten werden, die zu deutlich mehr Hitzetoten führen können – während man sich im Norden vielleicht freut, endlich mal ohne Pulli draußen sitzen zu können.
Wie kann das Risiko für Schäden durch den Klimawandel in Städten und Regionen begrenzt werden?
Oh, da gibt es viele, viele Möglichkeiten – da könnte ich jetzt stundenlang welche aufzählen. Vielleicht hier nur mal ein paar der zentralen: Wasser auf Grünflächen versickern, in Mulden oder Rückhaltebecken zwischenspeichern, Flüssen mehr Überschwemmungsraum geben. Mehr Grün in die Städte bringen durch mehr Bäume an den Straßen, in Grünanlagen, in Gärten und Hinterhöfen, durch Dach- und Fassadenbegrünung. Wasserflächen anlegen und für die Bevölkerung zugänglich halten. Flächen entsiegeln und vor allem verhindern, dass bisher grüne Flächen und Agrarflächen fortgesetzt versiegelt und bebaut werden.
Und worauf müssen Stadt- und Landschaftsplanung in Zukunft achten?
Eine der wichtigsten Maßnahmen, um zukünftige Schäden zu vermeiden, besteht darin, nicht noch zusätzliches Schadenspotenzial dorthin zu bauen, wo man heute schon genau weiß, dass aktuell – und in Zukunft noch viel mehr – hohe Risiken durch Starkregen, Sturmfluten, Flusshochwasser, Hangrutschungen oder auch Hitzeereignisse drohen. Dabei ist besonders die Planung gefragt und der müssen wir mit der Klimaforschung den Rücken stärken gegenüber kurzsichtigen Interessenten und Entscheidungsträgern, die solche Klimarisiken ignorieren, wenn es um die Ausweisung neuer Wohnbauflächen oder Gewerbeansiedlungen geht. Zentral ist auch, Kaltluftschneisen und Grünräume in den Städten nicht zu verbauen.
Weshalb sehen Sie das als besonders wichtig an?
Wir müssen kühle, grüne, lebenswerte Räume schaffen und erhalten – statt mit zusätzlichen asphaltierten Flächen und nackten Baukörpern zur weiteren Erwärmung beizutragen. Und wir dürfen das Niederschlagswasser nicht länger wie Abwasser behandeln – denn in vielen Gegenden werden wir in Zukunft jeden Tropfen davon brauchen und in anderen werden wir verhindern müssen, dass sich Katastrophen wie 2021 an der Ahr wiederholen und vervielfachen All diese Maßnahmen bieten neben der Temperaturregulation und dem Wasserrückhalt vielfältige Zusatznutzen – unter anderem in Form einer Bereicherung des Stadt- und Landschaftsbildes, durch Erholung, Naturerfahrung und soziale Begegnungsräume für die Bevölkerung – und weisen damit insgesamt ein gesellschaftlich sehr lohnenswertes Nutzen-Kosten-Verhältnis auf.
Werden die Erkenntnisse aus dem Projekt ISAP auch über Deutschland hinaus zum Klimaschutz und zum Verständnis von Klimafolgen beitragen?
Die Verwundbarkeit der Bevölkerung durch Hitze und Starkregen, die wir in ISAP für die Region Stuttgart analysieren, besteht in ähnlicher Weise und teils in noch deutlich dramatischerem Ausmaß auch in anderen Regionen der Welt. Wir beschäftigen uns also mit einem globalen Problem und viele der Lösungen, die wir mit dem ISAP-Projekt für die Region Stuttgart diskutieren, sind auch für andere Städte und Regionen auf der Welt relevant. Viele Billionen Euro, Dollar oder Yen an Klimaschäden und Hunderttausende von Hitzetoten und Flutopfern können weltweit vermieden werden, wenn Klimagefahren bei der Stadt- und Regionalplanung besser berücksichtigt würden. Wenn wir heute zeigen, wie teuer die Folgen des Klimawandels für uns alle schon in der nahen bis mittleren Zukunft sein werden, hoffe ich, dass wir das Bewusstsein und die Bereitschaft steigern, sich konsequent für den Klimaschutz zu engagieren und die notwendigen Maßnahmen radikal umzusetzen.
Wie können Bürgerinnen und Bürger hierzu – also zum Klimaschutz und zum Verständnis von Klimafolgen – beitragen?
Jede Bürgerin und jeder Bürger kann zum Klimaschutz beitragen: Vom Wechsel des Strombezugs auf erneuerbare Energiequellen, der Änderung des eigenen Mobilitätsverhaltens hin zu mehr öffentlichem Nahverkehr und weniger Flugreisen, über eine gesündere und klimafreundlichere Ernährung mit weniger Fleisch- und Milchprodukten, dafür mehr saisonalen und regional erzeugten Lebensmitteln. Bei einigen der Maßnahmen sind allerdings vor allem die Haus- und Grundeigentümer in der Verantwortung, weil Mieter und Pächter da weniger Gestaltungsmacht haben – also einerseits in Sachen Klimaschutz zum Beispiel bei der Verbesserung der Wärmedämmung von Gebäuden, dem Austausch fossiler Heizungsanlagen oder dem Zubau von Solaranlagen auf den Dächern. Und andererseits – in Sachen Klimaanpassung – beispielsweise durch eine kühlende Dach- und Fassadenbegrünung, eine vollständige Versickerung des Regenwassers auf dem eigenen Grundstück oder die Entsiegelung und Begrünung des Hinterhofs. Da gibt es unterschiedliche Gestaltungsmacht und natürlich generell auch unterschiedliche finanzielle Gestaltungsspielräume.
Bei der Konferenz der BMBF-Fördermaßnahme RegIKlim am 11. und 12. Mai ging es insbesondere darum, wie Ihre Forschungsergebnisse in die Praxis kommen – im Fachjargon „Transfer“ genannt. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Diskussionen?
Das Interesse an unserem Projekt ist groß – sowohl in der Region Stuttgart, als auch in anderen Kommunen und Regionen. Die RegIKlim-Tagung in Halle war eine schöne Gelegenheit für einen intensiven Austausch zwischen den verschiedenen Forschungsprojekten und auch gerade mit den Praxispartnern. Verwaltungen und Entscheidungstragende in den Kommunen zeigen großes Interesse an ökonomischen Analysen, denn in ihrer täglichen Arbeit müssen sie die Investitionen in Anpassungsmaßnahmen gut begründen und dabei Kosten und Nutzen verschiedener Alternativen sorgfältig abwägen. Wir zeigen ihnen mit unserer erweiterten ökonomischen Bewertung die Potenziale der Zusatznutzen auf, die sich gerade mit blau-grünen Infrastrukturen und naturbasierten Anpassungsmaßnahmen – wie zum Beispiel mit Dachbegrünung, neuen städtischen Grünflächen oder der Renaturierung von Fließgewässern – erzielen lassen. Durch die Übersetzung der Effekte der jeweiligen Maßnahmen in Geldwerte werden die erzielbaren Nutzen für viele erst richtig greifbar und können den Kosten überzeugend gegenübergestellt werden. Grünflächenämter, andere Fachverwaltungen und stadtpolitische Akteure können diese Zahlen nutzen, um Klimaanpassungsmaßnahmen transparent zu diskutieren und auf dieser Basis dann die beste Entscheidung für die Zukunft ihrer Stadt oder Region zu treffen.
Herr Hirschfeld, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Hintergrund
Im Verbundprojekt ISAP entwickeln Forschende wie unter anderem Jesko Hirschfeld einen Anpassungs-Check für Städte und Regionen. Dieser soll sowohl die Anpassungskapazitäten auf stadt-regionaler Ebene erfassen, als auch Kosten und Nutzen von Anpassungsmaßnahmen aufzeigen. Zudem wollen die Forschenden eine Informationsplattform zu den Klimagefahren in der Region Stuttgart im Internet bereitstellen, die unter anderem eine stadt-regionale Starkregenrisikokarte enthält, auf der Bürgerinnen und Bürger sich genau anschauen können, welche Gebiete gefährdet sind. Die neuen Ansätze und Erkenntnisse will das Forscherteam zukünftig im Austausch mit anderen Regionen (nationale und international) diskutieren und so auch auf andere Städte und Regionen übertragen. Insgesamt wollen die Forschenden Planungsgrundlagen verbessern sowie deren Anwendung in Entscheidungsprozessen vereinfachen. Das soll die Auswahl von Anpassungsmaßnahmen erleichtern und ihre Akzeptanz erhöhen.
ISAP ist ein Projekt der BMBF-Fördermaßnahme RegIKlim („Regionale Informationen zum Klimahandeln“). Insgesamt acht Forschungsprojekte tragen gemeinsam dazu bei, Wissen zum Klimawandel in Kommunen und Regionen aufzubauen und eine breite Basis für maßgeschneiderte und verlässliche Services für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu schaffen. Das BMBF stellt für alle Projekte Fördermittel in Höhe von rund 18 Millionen Euro bereit.