„Grundwasser verdient mehr Aufmerksamkeit“ : Datum: , Thema: Weltwassertag
Grundwasser ist eine lebenswichtige Ressource. Gleichzeitig birgt es ein vielfältiges und bislang noch wenig erforschtes Ökosystem. Im Interview erklärt Professor Klaus Schwenk, warum wir es besser verstehen und schützen müssen.
Professor Schwenk, jedes Jahr am 22. März lenkt der von den Vereinten Nationen initiierte Weltwassertag den Blick auf die Bedeutung des Wassers für die Menschen. Dieses Jahr steht der Weltwassertag unter dem Motto „Grundwasser: der unsichtbare Schatz“. Was macht denn Grundwasser so wertvoll?
Grundwasser ist die wichtigste Quelle für unser Trinkwasser; in Deutschland stammen circa 70 Prozent des Trinkwassers aus unterirdischen Vorkommen. Grundwasser entsteht, wenn Niederschlagswasser im Boden oder Wasser aus Bächen, Flüssen oder Seen im Untergrund versickert. Bei seiner Bewegung durch die Boden- und Gesteinsschichten wird das Wasser gefiltert; dabei werden Schmutz und Schadstoffe zurückgehalten, ähnlich wie bei einem Sieb oder Kaffeefilter. Neben der Filterleistung des Bodens sorgen auch im Untergrund lebende Organismen für eine hohe Qualität des Grundwassers, sodass es in der Regel ohne Bedenken getrunken werden kann. Wir haben es also mit einem eigenen Ökosystem im Untergrund zu tun, das wertvolle Dienstleistungen für uns Menschen und andere Ökosysteme erbringt.
Allerdings ist das Grundwasser in den letzten Jahrzehnten verstärkt unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt: Die Folgen des Klimawandels, zunehmende Schadstoffeinträge durch Landwirtschaft, Kommunen und Industrie sowie eine übermäßige Wasserentnahme führen regional immer häufiger zu Problemen, die das Grundwasser als Lebensraum und damit auch als nutzbare Ressource gefährden.
Wie kann man sich Grundwasser als Lebensraum vorstellen – was lebt da?
Im Untergrund leben Bakterien, Einzeller, Fadenwürmer, Asseln und Kleinkrebse. Es finden sich sogar einige Schnecken- und Fischarten. In Deutschland kommen an die 500 Tierarten im Grundwasser vor, allerdings sind davon nur circa 150 echte Grundwasserspezialisten. Grund für die im Vergleich zu oberirdischen Gewässern eher geringe Anzahl sind die speziellen Lebensbedingungen im Grundwasser: Hier ist es in der Regel dunkel, kalt und nahrungsarm. Unter diesen Bedingungen können nur Organismen überleben, die sich durch ihre äußere Gestalt sowie ihre Stoffwechsel- und Fortpflanzungstrategien auf das Leben im Untergrund spezialisiert haben.
Das fehlende Sonnenlicht verhindert beispielsweise die sogenannte Primärproduktion – das heißt, den biochemischen Aufbau von Biomasse. Deswegen sind alle Grundwasserorganismen letztendlich auf organisches Material von der Oberfläche angewiesen. Häufig sind sie zudem mikroskopisch klein, blind und haben keine Körperpigmente.
Grundwasserlebewesen sind über viele tausend Jahre evolutiver Anpassung aus gemeinsamen Vorfahren von Oberflächenarten entstanden. Sie sind somit ein eindrückliches Beispiel für die natürliche Selektion und Anpassung an ein „extremes“ Lebensumfeld. Zudem leisten die Grundwasserorganismen mit ihrer Wasserreinigungsfunktion einen wichtigen Beitrag zur Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser.
Gibt es ein Tier, das Sie besonders fasziniert, ein Lieblingstier sozusagen?
Mein Lieblingstier ist die nächste Grundwasserart die noch nicht entdeckt wurde. Wir kennen die Oberfläche des Mondes besser als unsere Grundwasserökosysteme. Immer wieder werden neue Arten entdeckt und neue genetische Methoden helfen uns bei der Suche. Viele grundlegende Fragen der Grundwasserökologie sind noch nicht geklärt: Wie verbreiten sich die Organismen? Wie sind die Lebensgemeinschaften zusammengesetzt? Wie haben sich die Tiere an die Lebensbedingungen angepasst? Vorkommen und Verbreitung der Grundwasserorganismen erlauben uns, grundlegende Rückschlüsse auf den ökologischen Zustand und somit auf die Qualität des Grundwassers zu ziehen. So weisen beispielsweise eine Veränderung der Lebensgemeinschaft oder gar das Verschwinden von früher vorhandenen Arten auf Störungen hin.
Wie man den Grundwasserorganismen im Untergrund besser auf die Spur kommt, erforschen Sie derzeit mit Ihrem Team im BMBF-Projekt „Biologisches Trink- und Grundwassermanagement (Bio-TGW)“. Was sind die Herausforderungen beim Nachweis?
Bisher wurden Organismen aus Grundwasserproben mit sehr zeitintensiven mikroskopischen Verfahren bestimmt. Dies ist aufgrund der fehlenden Pigmentierung, der sehr kleinen Körpergröße und der vielen verschiedenen Formen, die sich nur schwer voneinander abgrenzen lassen, sehr schwierig.
Im Projekt Bio-TGW entwickeln wir Verfahren, um auch mit genetischen Methoden Grundwasserorganismen nachzuweisen. Dabei suchen wir in Grundwasserproben nach sogenannter Umwelt-DNA oder eDNA (environmental DNA). Im Grundwasser vorkommende DNA-Spuren der Organismen können mithilfe von standardisierten kurzen Genabschnitten – den molekularen Markern – erfasst werden. In Verbindung mit einer Referenzdatenbank können die Arten eines Standorts so wesentlich effizienter als mit herkömmlichen Methoden bestimmt werden. Solche genetischen Methoden sind sehr sensitiv – das heißt, wenige DNA-Moleküle im Wasser reichen für einen Nachweis aus –, sind für einen hohen Durchsatz von Proben geeignet und bieten die Möglichkeiten die Ausbreitungswege- und -richtungen zu identifizieren. Mithilfe unserer Forschungsergebnisse können wir erstmals in Deutschland die Artenvielfalt im Grundwasser großflächig dokumentieren.
Welche Rückschlüsse lassen sich aus Ihren Untersuchungen für den Umgang mit und die Nutzung von Grundwasser ziehen?
Grundwassertiere lieben es kühl: Temperaturen über 14°C sorgen für den Rückgang der biologischen Vielfalt, einzelne Arten wandern ab oder Populationen sterben lokal aus. Auch das Absinken der Grundwasserspiegel durch übermäßige Entnahmen oder durch zunehmende Trockenphasen sowie der Eintrag von Umweltgiften, Arzneimitteln und Pestiziden ins Grundwasser setzen das Ökosystem unter Druck.
All diese Prozesse können lokal die Artenvielfalt und somit auch die „Filter- und Reinigungsleistung“ der Grundwasserfauna nachhaltig beeinträchtigen. Wasserkreisläufe sind sehr „langsam“, die Zeit vom Regentropfen über Versickerung im Boden bis zur Rückkehr über Quellen an die Oberfläche erstreckt sich über Jahrzehnte. Mit anderen Worten, die Auswirkungen der Umweltbelastungen der auf die Grundwasserökosysteme bekommen unsere Kinder zu spüren oder spätestens deren Kinder. Wenn wir also nicht ein weiteres Umweltproblem auf die nächste Generation verschieben wollen, sollten wir rasch damit beginnen, die Grundwasserqualität mit geeigneten Methoden umfassend zu bestimmen und rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Letztendlich riskieren wir nicht nur den Verlust einer besonderen Lebensgemeinschaft, sondern auch eine nachhaltige Verschlechterung der Trinkwasserqualität.
Wie machen Sie Ihre Forschungserkenntnisse auch für die Öffentlichkeit sichtbar?
Das Bio-TGW Projekt präsentiert seine Ergebnisse unter anderem im Rahmen der baden-württembergischen Landesgartenschau in Neuenburg am Rhein von April bis Oktober 2022 in einer Grundwasserausstellung. Hier werden wir verschiedene Organismen in Filmen, auf Schautafeln und in Form von 3D-Modellen vorstellen. So gewinnt man einen tiefen Einblick in den bisher unseren Augen verschlossenen dunklen „Untergrund“. Nach der Landesgartenschau in Neuenburg soll die Grundwasserausstellung auf Wanderschaft durch Deutschland gehen, um das unzugängliche Ökosystem einer noch breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Denn das Ökosystem Grundwasser verdient mehr Aufmerksamkeit und muss genauso wie oberirdische Lebensräume geschützt werden.