„Auf komplexere Risiken sind wir nicht gut vorbereitet“ : Datum: , Thema: Tag der Katastrophenvorbeugung
2021 war ein Sommer der Extreme mit Fluten, Hitzewellen und Waldbränden in vielen Regionen weltweit. Zum internationalen Tag der Katastrophenvorbeugung am 13. Oktober erklärt Dr. Elisabeth Schöpfer, Expertin für Georisiken am Earth Observation Center des DLR, wie wir uns besser auf komplexe Katastrophen vorbereiten können.
Frau Schöpfer, das Ausmaß der aktuellen Extremereignisse lässt viele Menschen fragen, ob der Klimawandel schon jetzt mit voller Wucht eintritt. Können wir uns auf solche Katastrophen vorbereiten?
Wir leben in einer sich rasant verändernden und globalisierten Gesellschaft. Die zunehmende Vernetzung unserer wirtschaftlichen, sozialen und technischen Systeme, die wachsende Urbanisierung und die Folgen des Klimawandels führen zu komplexeren Risiken und einer erhöhten Anfälligkeit, auf die wir bislang nicht gut vorbereitet sind. Umfassende Risikoanalysen, die auch kaskadierende Effekte berücksichtigen, sind eine wichtige Grundlage für die Entscheidungsfindung.
Welche Aufgaben kommen auf den Katastrophenschutz künftig zu?
Nicht nur im Katastrophenschutz wird man sich mit der steigenden Komplexität und erhöhten Risiken auseinandersetzen müssen, sondern auch in der Katastrophenvorsorge. Je besser man sich im Vorfeld mit den möglichen Auswirkungen auseinandersetzt, desto besser kann man sich auf eine Katastrophe vorbereiten. Eine effektive Frühwarnung sowie gezielte Maßnahmen zur Vorbereitung und Vorbeugung sind dabei essentiell.
Wie müssen Frühwarnsysteme angesichts der dynamischen Ereignisse beschaffen sein?
Die aktuelle Flutkatastrophe in Deutschland, aber auch viele Ereignisse weltweit haben eindrücklich gezeigt, dass es nicht reicht, über das Auftreten eines Extremwetterereignisses nur zu informieren. Ohne konkrete Handlungsanleitungen, ohne angemessenes Gefahrenbewusstsein in der Bevölkerung und ohne entsprechende lokale Notfallpläne verpuffen Warnungen zumeist. Das Zusammenspiel der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure auf sämtlichen Ebenen muss klar geregelt und eingeübt werden.
Sie haben zusammen mit Forschungspartnern in den Ländern Chile, Ecuador und Peru im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts RIESGOS ein Multi-Risiko-Informationssystem entwickelt, welches mehrere Szenarien abbildet – also zum Beispiel nicht nur ein Erdbeben, sondern auch die dadurch ausgelösten Hangrutschungen und Tsunamis sowie neben möglichen Schäden an der Gebäudeinfrastruktur auch Störfälle in Stromnetzen. Gab es schon konkrete Ereignisse, bei denen das System zum Einsatz kam?
Der Schwerpunkt im Projekt RIESGOS und seinem Nachfolger RIESGOS 2.0 liegt auf der Multi-Risikoanalyse. Das Projekt baut kein Frühwarnsystem. Unser System soll vielmehr Planern und Katastrophenschützern helfen, sich im Vorfeld mit komplexen Katastrophensituationen auseinanderzusetzen, um für den Ernstfall besser darauf vorbereitet zu sein. Aktuell arbeiten wir dafür in drei Pilotregionen: zu Erdbeben und Tsunamis im Küstengebiet von Valparaíso in Chile, in Perus Hauptstadt Lima sowie zu vulkanischer Aktivität und Hangrutschungen in der Region des Vulkans Cotopaxi in Ecuador.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den Forschenden und den Behörden in Südamerika?
Die Projektarbeiten erfolgen in enger Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und Zivilschutzbehörden vor Ort. Ein enger Austausch besteht insbesondere mit den potentiellen zukünftigen Nutzern und Entscheidungsträgern in den Pilotregionen. Dies ist zum einen wichtig, damit wir Anregungen aus der Praxis bereits während der Entwicklungsphase einfließen lassen können. Zum anderen sind die lokalen Behörden gerade dabei, unser Multi-Risiko-Informationssystem in ihre eigenen Systemumgebungen zu integrieren. Wir setzen dabei konsequent auf „Open Source“-Komponenten mit entsprechenden Schulungen, um eine eigenständige Nutzung in den Partnerländern auch über das Projektende hinaus sicherzustellen.
Was können wir in Deutschland, für die Extremereignisse wie im Ahrtal früher unvorstellbar erschienen, von den Erfahrungen der Menschen in anderen Regionen lernen, in denen ständige Naturgefahren zum Alltag gehören?
Die Menschen in unseren Partnerländern in Südamerika haben ein stärker ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein und müssen insgesamt mehr Eigenverantwortung übernehmen. Mehrmals im Jahr finden Katastrophenschutzübungen statt, auf denen die Menschen die erforderlichen Abläufe und Verhaltensweisen üben, die ihnen im Katastrophenfall das Leben retten können. Daran nehmen alle Bevölkerungsschichten aktiv teil und sie finden teilweise auch nachts statt. Zudem sind in vielen Orten Evakuierungsrouten und geeignete Bereiche ausgewiesen, wo man sich im Falle eines Erdbebens oder Tsunami sicher aufhalten kann.
Ein Katastrophenmanagement, welches multiple Risiken berücksichtigt, ist eine wichtige Zukunftsaufgabe. Dennoch wird bei der Flächennutzung kaum umgedacht – der Bauboom blendet Risiken einfach aus. Wie kann die Wissenschaft hier besser auf die Menschen vor Ort oder die Politik einwirken?
Die Aufgabe der Wissenschaft ist es in diesem Fall, das erforderliche Wissen für die Entscheidungsfindung bereitzustellen und die möglichen Konsequenzen von Nichthandeln aufzuzeigen. Dazu können wissenschaftliche Modelle und Informationssysteme, die in einem weiteren Schritt in die praktische Anwendung überführt werden, ein wichtiger Baustein sein. Daher müssen wir von Seiten der Wissenschaft noch stärker den Wissenstransfer in die behördliche Praxis im Blick haben. Denn nur so können die Erkenntnisse gezielt Eingang in Planungs- und Entscheidungsprozesse auf lokaler und regionaler Ebene finden.