Technologien für sichere und effiziente Staudämme : Datum: , Thema: Tag der Flüsse 2021
Der Bau von Staudämmen erlebt weltweit einen neuen Boom – als kostengünstige Möglichkeit, Strom mit geringen CO2-Emissionen zu produzieren. Ein Forscherteam aus Karlsruhe will im Rahmen eines trilateralen Projekts den Betrieb von Stauanlagen sicherer und effizienter machen.
750 Metern Breite, 272 Meter Höhe – eine gewaltige Staumauer überspannt das tiefe Enguri-Tal im georgischen Teil des Kaukasus. Ein Bauwerk, welches vor mehr als drei Jahrzehnten vollständig in Betrieb genommen wurde und die dritthöchste Talsperre weltweit darstellt. Doch der Betonkoloss funktioniert seit vielen Jahren nicht mehr so, wie er funktionieren soll.
Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) untersuchen den Staudamm seit Mitte 2019 näher. Im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts DAMAST wollen sie zusammen mit Partnern aus Georgien und Armenien herausfinden, welche Naturrisiken den Staudamm gefährden und wie ein effizienter Betrieb langfristig gesichert werden kann.
Ein großes Problem sind Sedimentfrachten, die vom Enguri flussabwärts getragen und am Staudamm gestoppt werden. Rund 60 Meter hoch türmen sich die Sandschichten bereits an der Staumauer auf; ein Grundablass ist mit Sediment chronisch verstopft. Letztendlich fährt das Kraftwerk aktuell nur die halbe Leistung. Dabei soll es große Teile Georgiens und Abchasiens mit Strom versorgen.
Gefährdung durch Extremereignisse
„Das führt ohne Ertüchtigungsmaßnahmen dazu, dass dieses Stausystem langfristig nicht mehr zur Stromproduktion genutzt werden kann“, sagt Frank Schilling, Professor am KIT-Institut für Angewandte Geowissenschaften und Koordinator des Projekts. Technisch ausgelegt seien die meisten Staudämme für eine Betriebszeit von mehr als 100 Jahren. Oftmals sei der Betrieb durch verschiedene Faktoren jedoch schon nach 50 Jahren gefährdet.
Der Enguri-Staudamm weist weitere Besonderheiten auf, die von großem wissenschaftlichen Interesse sind: So unterliegt der angestaute See hohen Schwankungen des Wasserspiegels durch fehlende Zuflüsse im Winter und eine starke Schneeschmelze im Frühjahr und Sommer – die Differenz beträgt im Jahresverlauf bis zu 100 Meter, was auch auf Bildern eindrucksvoll zu sehen ist. Oft scheint es, als würde im Stausee jemand den Stöpsel ziehen.
Aber auch Gefährdungen durch Extremereignisse betrachtet das Forscherteam. Hierzu zählen Hangrutschungen, die wiederum mit starken Regenfällen in Verbindung stehen. Bei Stauanlagen müssen zudem natürliche Erdbeben beachtet werden. So liegt der Enguri-Staudamm in einer besonders seismisch aktiven Region. Ein weiteres Problem stellen von Menschen verursachte, sogenannte induzierte Beben dar: Das Befüllen des Stausees führt zu Spannungsveränderungen im Untergrund, welche Erschütterungen auslösen.
Neues Monitoringsystem geplant
Das DAMAST-Team will daher neuartige, integrierte Monitoringkonzepte entwickeln, um Staudämme auch an schwierigen Standorten besser zu überwachen und das Risikomanagement zu verbessern. Gelingen soll dies durch den Einsatz von innovativer Sensorik, Computermodellen zur Strömungssimulation sowie zur Bewertung seismischer Gefährdungen und einer detaillierten Erfassung der Damm- und Geländestrukturen.
Die Forschenden setzen ein ganzes Arsenal an modernen Technologien ein: Dazu gehören unter anderem Messungen mit speziellen Drohnen und Unterwasserfahrzeugen, dreidimensionale Vermessungen des Flusstals, Bohrungen und Probennamen im Sediment sowie ein mobiles Radarsystem zur Überwachung und Analyse von Oberflächendeformationen.
Das Forscherteam will sich jedoch nicht auf Untersuchungen am Enguri-Staudamm beschränken. In einem nächsten Schritt sollen geologische Daten im Umfeld geplanter weiterer Staudamm-Projekte im Nenskra-Tal gesammelt werden, so dass frühzeitig mögliche Störungszonen im Untergrund erkannt werden können. Dieses Basismonitoring steht dann für die Bauprojekte zur Verfügung.
Know-how aus DAMAST soll langfristig verfügbar bleiben
„Unser Ziel ist, die Vorhersagen zur Seismizität und den Gefährdungen von Staudämmen deutlich zu verbessern“, sagt die DAMAST-Projektmanagerin Dr. Birgit Müller. Oftmals fehlt eine qualitative Datenbasis, um größere Risiken ausschließen zu können. Geologische Daten, die zu Sowjetzeiten erhoben wurden, sind kaum noch verfügbar. Zudem gehen oft wichtige Unterlagen bei der Übergabe der Bauwerke von privaten Betreibern an den Staat verloren.
Das Know-how aus DAMAST soll langfristig verfügbar bleiben und in ein Kompetenzzentrum „Wasserkraft“ in Georgien einfließen, welches bei künftigen Staudammprojekten sowie Projekten in der Geothermie, im Bergbau oder in der Infrastruktur fachlich unterstützen könnte. Zudem soll in Kooperation mit dem KIT ein Ausbildungsprogramm in Georgien etabliert werden.
Die Idee des Kompetenzzentrums wird jetzt mit georgischen Partnern weiterentwickelt. Ein positives Votum gibt es bereits von der georgischen Regierung. Der Aufbau der Einrichtung könnte laut Schilling schon in wenigen Jahren starten. „Georgien will mittelfristig Energie aus Wasserkraft auch nach Europa exportieren, dafür muss die Infrastruktur geschaffen werden“, betont der Wissenschaftler. Aber auch zur Planung neuer Wasserreservoire in Europa, die aufgrund des Klimawandels und der damit verbundenen Wasserknappheit in den Sommermonaten notwendig sind, kann das neu gewonnene Wissen eingesetzt werden.