Für eine bessere neurologische Überwachung von Neugeborenen : Datum: , Thema: Gesundheitsforschung
Im Interview stellt Doktor Frank Zanow ein Monitoring-System vor, das sich an die speziellen Bedürfnisse von Neugeborenen anpasst und die EEG-Qualität im Klinikalltag auf ein neues Niveau heben kann.
Herr Doktor Zanow, Sie haben in dem Eurostars-Projekt „NeuroGuard“, das vom BMBF gefördert wurde, ein neues Monitoring-System für Neugeborene entwickelt. Wann brauchen Babys eine solche Überwachung?
Insbesondere wenn sie zu früh geboren wurden und auf die Intensivstation kommen. Dann brauchen sie von der ersten Stunde ihres Lebens an ein Monitoring-System, das zeigt, wie ihr Gehirn arbeitet. Denn das ist oft noch nicht genügend weit entwickelt und sehr fragil. Somit ist das Risiko für eine Schädigung besonders hoch.
Was können das für Schädigungen sein und wie werden sie bemerkt?
Oft sind es Blutungen oder Entzündungen im Gehirn oder im Schädelraum, die lebensbedrohlich sein können. Solche Erkrankungen äußern sich durch epileptische Aktivitäten, also Anfälle, im Gehirn. Bei Neugeborenen kann man diese – anders als bei älteren Menschen – nicht mit bloßem Auge erkennen. Deshalb sollte ein EEG (Elektroenzephalographie, siehe Info-Kasten) diese Aufgabe übernehmen. Oft gibt dieses bildgebende Messverfahren den einzigen Hinweis auf eine Erkrankung. Wird sie früh genug erkannt, können Ärztinnen und Ärzte schnell handeln. So verhindern sie Langzeit-Schädigungen oder Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel kognitive Ausfälle oder motorische Einschränkungen. Solche belasten die betroffenen Kinder oft ein Leben lang.
Was ist neu am „NeuroGuard“-Monitoring-System?
Wir arbeiten mit einem EEG, das außergewöhnlich hochwertig ist. Etwas Vergleichbares wird bisher nur in den Neurowissenschaften eingesetzt. Dort werden sehr genaue Messergebnisse benötigt, um daraus Erkenntnisse für zum Beispiel die Psychologie und die Sportwissenschaften ableiten zu können. Zudem haben wir die Kopfhauben, in die die Elektroden zur Messung eingesetzt werden, an die speziellen Bedürfnisse von Neugeborenen angepasst. Sie sind für besonders kleine Köpfe – bisweilen bloß in der Größe eines Tennisballs – und für eine sehr sensible Kopfhaut gemacht. Sie sind leicht, flexibel und atmungsaktiv. Außerdem erhalten das Pflegepersonal und die Ärzteschaft unterschiedliche Informationen aus unserer EEG-Messung. Nämlich nur genau die Informationen, die sie benötigen, damit sie im Alltag den Überblick behalten, Notfallsituationen schnell beurteilen und gezielt handeln können. Das gibt mehr Sicherheit, sowohl für die kleinen Patientinnen und Patienten als auch für ihre Eltern, die sich natürlich große Sorgen machen.
Worauf haben Sie bei der Entwicklung besonders geachtet?
Wir haben uns vor allem auf die komplexe Druckverteilung von Elektroden und Haube auf die Haut der Neugeborenen konzentriert. Die Hauben reizen die zarte Kopfhaut nicht übermäßig und unterstützen zudem die Signalqualität der Elektroden. Davon werden bis zu zehn Stück an einer Haube angebracht und sie speisen acht EEG-Kanäle. Das liefert uns die beste räumlich-zeitliche Auflösung. Zum Vergleich: Bei Erwachsenen werden 19 bis 21 Elektroden verwendet. Mit unseren nëo-Systemen (so heißen die Produkte) erreichen wir ein Optimum an diagnostischer Aussagekraft, die es so vorher im Klinikbereich nicht gab.
Und wie wird die Technik im Alltag eingesetzt?
Schwestern und Pfleger betreuen auf einer Neugeborenen-Station in der Regel 10 bis 20 Babys in Brutkästen, an die weitere technische Geräte angeschlossenen sind. Dabei dürfen nicht zu viele Infos auf sie einprasseln, die sie im normalen Klinikalltag vielleicht gar nicht brauchen. Deshalb haben wir eine Software entwickelt, die die gemessenen Rohdaten des EEGs auswertet, sie sinnvoll zusammenfasst und als Trendinformationen auf einem Monitor graphisch abbildet. Trendinformationen geben die regionalen Veränderungen in der Hirnaktivität wider, die in den letzten sechs bis zwölf Stunden gemessenen wurde. Mit diesen Trends sehen Schwestern und Pfleger auf einen Blick, ob mit ihren Schützlingen alles in Ordnung ist.
Bei Abweichungen von den üblichen Mustern der Hirnaktivität können Ärztinnen und Ärzte mit einem Klick am Monitor auf die Rohdaten der Messung zugreifen und beurteilen, welche Art von Problem vorliegt und wie das Neugeborene behandelt werden muss. Seit Kurzem kann das System Anfälle sogar automatisch erkennen. Für dieses Upgrade stecken wir gerade in der Endphase der medizinischen Zulassung.
Wie sind die ersten Rückmeldungen von den Kliniken?
Oft bekommen wir Rückmeldungen von Schwerstern und Pflegern, die sehr froh darüber sind, dass sie ihre kleinen Patientinnen und Patienten nun besser durch die für sie sehr schwere Lebensphase begleiten können. Auch den Eltern kann ein solches System viele Ängste nehmen. Zudem sind Ärzteschaft und Pflegepersonal oft positiv überrascht, wie gut die Qualität des zu messenden Signals ist. Auch die Hauben sind besonders verträglich.
Wie wichtig war die Eurostars-Förderung für Sie?
Damit konnten wir ein neues Produkt in einem für uns völlig unbekannten Anwendungsbereich entwickeln – und das in nur drei Jahren. Dank der engen Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten vom UMC Utrecht (Universitätsklinikum Utrecht), haben wir unseren Blick für die Bedürfnisse von Neugeborenen schärfen können und an einer besonders anwenderfreundlichen Umsetzung gearbeitet.
Wie entwickeln Sie Ihr Monitoring-System weiter?
Künftig soll es Zugang zu bereits erhobenen Daten von Patientinnen und Patienten aus den Krankenhausnetzwerken bekommen. Ich sehe auch großes Potential für KI und Deep Learning, die zu einer stark verbesserten Diagnostik führen können. Denn damit wird langfristig eine Gesundheitsversorgung möglich, die Vorhersagen für die Zukunft trifft.
Ergeben sich damit noch andere Vorhersagemöglichkeiten?
Wir könnten damit langfristig entwicklungspsychologische Schwierigkeiten von jungen Menschen, aber auch deren Talente und Fähigkeiten frühzeitig abschätzen: Zum Beispiel spätere Lese- und Rechtschreibstörungen, Autismus, oder Hyperaktivität. Also Diagnosen, die sonst erst im Vorschulalter sichtbar würden.
Welche Herausforderungen sehen Sie als nächstes auf sich zukommen?
Wir müssen dafür sorgen, dass unser System weitreichend zum Einsatz kommt. Obwohl in wohlhabenden westlichen Ländern sehr viel Aufwand betrieben wird, um Erkrankungen bei Neugeborenen gut zu diagnostizieren, fehlt mitunter noch das Bewusstsein für den Mehrwert von fortschrittlichen Monitoring-Systemen. In Ländern, die weniger gut entwickelte Gesundheitssysteme haben, kommen solche Systeme bisher noch kaum zum Einsatz. Aber auch dort wollen wir uns engagieren. Kinder mit Problemen kommen überall zur Welt und ihnen sollte gleichermaßen geholfen werden.
Herr Doktor Zanow, wir danken Ihnen für das Gespräch!