Schiffsexpedition erforscht Artenvielfalt der Tiefsee : Datum: , Thema: neues vom forschungsschiff sonne
Passend zur UN-Ozeandekade startet das Forschungsschiff SONNE zu einer Expedition in den Atlantik, um die Artenvielfalt der Tiefsee zwischen Island und den Azoren zu erfassen.
Ein Team von 21 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist am 8. Januar 2021 mit dem Forschungsschiff SONNE in den Atlantik aufgebrochen, um dort die Vielfalt der marinen Lebewesen in der Tiefsee zu erforschen. Sie werden vom Islandbecken bis zu den Azoren in Tiefen von 4.000 bis 5.000 Metern Proben entnehmen und eine Kartierung des Meeresbodens mittels Hydroakustik vornehmen.
Ökosystem der Tiefsee bisher wenig erforscht
„Bisher ist das Ökosystem der Tiefsee weniger erforscht als die Rückseite des Mondes“, so die wissenschaftliche Leiterin der Expedition Saskia Brix des Institutes Senckenberg am Meer. „Wir werden entlang eines geraden Strichs von Nord nach Süd Proben nehmen und schauen, wie sich die Artenvielfalt in der Tiefsee mit der geografischen Position verändert“, so die Meeresbiologin. Das Forschungsgebiet erstreckt sich entlang des 19. Längengrads West. „Dabei untersuchen wir, ob Strukturen am Meeresboden, wie Tiefseetäler oder Berge in der Tiefsee eine natürliche Barriere für die Ausbreitung von Arten darstellen oder ob es dieselben Tierarten im nördlich gelegenen Islandbecken und im Süden auf Höhe der Azoren gibt.“
Forschungsreise birgt Risiken
Eine Forschungsreise in den winterlichen Atlantik berge immer ein gewisses Risiko, erklärt die Wissenschaftlerin: „Wir setzen uns den Naturgewalten aus, weshalb wir die genaue Fahrtroute je nach Wetterlage spontan festlegen müssen. In unserem Forschungsgebiet auf dem Nordatlantik herrscht gerade Sturm. Wir müssen aber drei Tage am Stück stabiles Wetter haben, um unsere Proben nehmen zu können. Bis zu einer Wellenhöhe von vier Metern können wir unsere Messgeräte sicher einsetzen. Bei höherem Wellengang wird das Einsetzen der Geräte zu riskant.“
Verbreitung von Tiefseeorganismen im Fokus
Im Fokus der Forschungsreise SO280 mit dem deutschen Forschungsschiff SONNE steht die Untersuchung der Verbreitung von Tiefseeorganismen wie Würmer, Seegurken, Schnecken, Muscheln, Schlangensterne und Asseln. Dabei baut das Projekt „IceDivA“ auf mehrere Vorgängerprojekte auf. So definiert der geografische Endpunkt der vorigen Expedition IceAGE3, die im Sommer 2020 stattfand, den Startpunkt für die aktuelle Forschungsreise. Die Kombination der aktuellen Daten mit den Ergebnissen früherer Expeditionen ist ein zentraler Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeiten dieser Expedition.
Neue Arten warten auf Entdeckung
Mit verschiedenen Geräten wie Kameras und geschleppten Netzen untersuchen die Forscherinnen und Forscher die gesamte Wassersäule von der Oberfläche bis zum Meeresboden. „Wir versuchen, ein so vollständiges Bild wie möglich zu bekommen, um Aussagen über die Verbreitung von Arten sowie den Zustand der Ökosysteme auf Hoher See und in der Tiefsee des Atlantiks machen zu können“, so Brix.
„Ich bin mir sehr sicher, dass wir auf dieser Fahrt auch neue Arten entdecken werden, da momentan etwa 90 Prozent der Arten aus der Tiefsee noch nicht beschriebenen sind. Hinzu kommt, dass wir in eine Region fahren, in der vor uns noch nie zuvor Proben aus der Tiefsee entnommen wurden. Ich rechne mit bisher unbekannten Arten von Borstenwürmern, Schlangensternen, Schnecken und auch aus meinem Spezialgebiet der Tiefseeasseln.“
Für Brix sind Tiefseeasseln „das perfekte Beispiel“, um die Mechanismen der Artausbreitung in der Tiefsee zu untersuchen: „Meeresasseln sind etwas ganz anderes als die bekannteren Kellerasseln“, so die Biologin. „Tiefseeasseln sind faszinierende Tiere: Sie brüten ihre Jungtiere in einem Brutbeutel aus.“ Genau wie schwangere Menschen bekämen auch Asseln einen dicken Bauch, wenn sie ihre Larven ausbrüten. „Das ist etwas sehr Besonderes bei Krebstieren“, sagt Brix. „Tiefseeasseln verbreiten sich nicht passiv über Meeresströmungen, sondern hopsen und krabbeln oder schwimmen. Anders als bei anderen Tierarten, bei denen Eier und Larven im Meer herumtreiben, sind es bei Asseln immer die erwachsenen Tiere, die sich verbreiten.“
Forschung hilft, Zukunft der Ozeane vorherzusagen
Die aktuelle Forschung auf der SONNE hilft dabei, Vorhersagen über den zukünftigen Zustand des Lebensraums Ozean zu machen, erklärt Brix: „Wenn Veränderungen im Ozean stattfinden, sei es eine Erwärmung der Weltmeere oder sich ändernde Meeresströmungen, können wir anhand von Modellen bestimmen, wie sich diese Veränderungen auf die Verbreitung der unterschiedlichen Arten auswirkt. Unser Fokus liegt auf den Tieren, die am Anfang der Nahrungskette stehen. Wir beschäftigen uns also mit der Lebensgrundlage aller größeren Organismen im Meer.“
Messgeräte werden getestet
Neben der biologischen Arbeit testen die Forscherinnen und Forscher meereswissenschaftliche Messgeräte: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler statten zehn autonome Messbojen, sogenannte ARGO Floats, mit Sensoren zum Messen von Salzgehalt, Temperatur und Druck (CTD) verschiedener Hersteller aus, um deren Leistungsfähigkeit miteinander zu vergleichen. Anders als bei der Überwachung der Ozeane werden die ARGO Floats auf dieser Reise daher untypischerweise als Schwarm möglichst auf einer Position ausgelegt, um zunächst einen direkten Vergleich der Messparameter zu haben. Begleitend dazu wird die Wassersäule im Gebiet der Auslegung engmaschig mit schiffsgebundenen CTD-Sensoren untersucht. Diese Messungen dienen als Referenz für die Beurteilung der ARGO Float-Daten. Während der gesamten Reise auf dem Forschungsschiff SONNE werden die Floats nach erfolgreicher Auslegung mehrmals bis auf 2000 Meter abtauchen und nach 48 Stunden zur Oberfläche zurückkehren, um die gesammelten Daten via Satelliten an ein Datenzentrum zu übermitteln. „Neben diesen Tests werden wir deutsche und französische ARGO Floats an Stellen aussetzen, an denen bisher Datenlücken bestehen“, sagt Brix. Damit trägt die Expedition zum internationalen ARGO-Programm bei, das den Zustand des Ozeans weltweit und lückenlos überwacht.
Forschende waren vorher in Quarantäne
An der Expedition IceDivA nehmen unter der Leitung von Senckenberg am Meer 21 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bundesanstalt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), des British Antarctic Survey, des GEOMAR sowie der Universitäten Hamburg und Oldenburg teil. Um auch in Corona-Zeiten an Bord gehen zu können, haben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Weihnachten und Neujahr in einer 14-tägigen häuslichen Selbstquarantäne verbracht. Vor der Expedition haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein mehrtägiges „Testcamp“ durchlaufen, in dem zwei Coronatests durchgeführt wurden. Nachdem alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zweimal negativ getestet wurden, startete die Expedition am 8. Januar 2021 in Emden. Die SONNE wird nach fünf Wochen auf See am 7. Februar 2021 in Emden zurückerwartet.