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Neues Frühwarnsystem: Schnelles Handeln nach dem Beben : Datum: , Thema: geoforschung

Starke Erdstöße in Deutschland sind äußerst selten. Doch auch schwächere Beben können erhebliche Schäden im dicht besiedelten Industrieland verursachen. Ein vom BMBF gefördertes Projekt will die Frühwarnung verbessern. 

Aufgerissene Straße nach Erdbeben
Aufgerissene Straße nach Erdbeben © Adobe Stock / Dudarev Mikhail

Ein schweres Erdbeben lässt die Niederrheinische Bucht erzittern, das Epizentrum liegt rund 20 Kilometer westlich der Kölner Innenstadt. Mit einer Magnitude von 6,5 zählt es hierzulande zu den schwersten Beben seit mehreren Jahrhunderten. Betroffen ist eine Region, in der 2,4 Millionen Menschen leben. Die Folgen: Tausende Tote und Verletze, immense Schäden an Gebäuden und ein mehrtägiger Stromausfall.   

Diese Angaben stammen aus einem Katastrophen-Szenario, welches für die Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2019 im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erarbeitet wurde. Die Analyse von Expertenteams mehrerer Forschungsinstitute wurde kürzlich als Drucksache des Bundestags (PDF, 6MB, Datei ist nicht barrierefrei) veröffentlicht. Und sie zeigt, womit Behörden und Bevölkerung im schlimmsten Fall rechnen müssen.

Tektonische Verwerfungen mit erheblichem Bebenpotenzial verlaufen auch im Untergrund mancher Regionen Deutschlands. Zu ihnen zählt neben der Schwäbischen Alb insbesondere die Niederrheinische Bucht. Viele Bewohner des Niederrheins erinnern sich noch gut an das Erdbeben von Roermond 1992 an der Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland, das Millionenschäden in beiden Ländern verursachte.

Das Roermond-Beben hat auch Benno Hoffmeister, Professor an der RWTH Aachen, hautnah erlebt. Damals lebte er zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere in Aachen, wo das Beben deutlich spürbar war. Im Kreis Heinsberg, einer benachbarten ländlichen Region, die unmittelbar von diesem Erdbeben mit einer Magnitude von 5,4 betroffen war, waren die Schäden erheblich. „Glücklicherweise wurden keine Menschen verletzt, aber die Schäden waren an vielen Häusern sichtbar“, erinnert sich Hoffmeister.

Diese Aufnahme des Wissenschaftlers Benno Hoffmeister vom April 1992 zeigt beschädigte Gebäude im Umland von Aachen nach demRoermond-Beben
Diese Aufnahme des Wissenschaftlers Benno Hoffmeister vom April 1992 zeigt beschädigte Gebäude im Umland von Aachen nach dem  Roermond-Beben © Benno Hoffmeister

Knapp drei Jahrzehnte später leitet Hoffmeister das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt ROBUST, in dem es um Folgen von Erdbeben insbesondere in der Niederrheinischen Bucht geht. Ziel ist die Entwicklung eines nutzerorientierten Erdbebenfrühwarn- und Reaktionssystems, welches ein Netz aus seismischen Sensoren und Monitoringsystemen in Bauwerken vereint.

Hoffmeister ist zudem Vorstandsmitglied des Centers for Wind and Earthquake Engineering (CWE), eines interdisziplinären Kompetenzzentrums an der RWTH, welches Expertisen im Erdbeben- und Windingenieurwesen vereint. Neben dem CWE sind das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS), das Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ) und die Wölfel Engineering GmbH am Projekt beteiligt.

Zumeist sei die seismische Aktivität in Deutschland durch schwache, kaum spürbare Erdbeben gekennzeichnet, sagt Hoffmeister. Dennoch kann es wie zuletzt beim Beben von Roermond oder 1978 im baden-württembergischen Albstadt zu gravierenden Folgen für ganze Landstriche kommen. „Das ist vor allem ein Problem für dicht besiedelte Regionen mit viel kritischer Infrastruktur“, so Hoffmeister.

Daher erarbeitet das ROBUST-Forscherteam ein Konzept, das mehrere technologische Komponenten enthält und auch sogenannte Kaskadeneffekte von Erdbeben berücksichtigt. Das geplante System soll neben der Früherkennung von Erdbeben auch detaillierte Schadensprognosen in kürzester Zeit liefern. Nicht zufällig wird das System in einer Chemieanlage getestet, die als kritische Infrastruktur eingeordnet wird.

Denn durch Erdbeben können Produktionsstätten der chemischen Industrie so beschädigt werden, dass gefährliche Stoffe entweichen, was erhebliche Auswirkungen für die gesamte Umgebung hätte. „Es ist daher wichtig, diese Leckagen frühzeitig zu identifizieren“, erklärt Hoffmeister. Vor allem Rettungskräfte sollten möglichst schnell entsprechende Informationen erhalten, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen.

Darüber hinaus sollen die Echtzeit-Daten auch in das KATWARN-System eingebunden werden. Dieses System ist bereits als Smartphone-App deutschlandweit verfügbar - es sendet Warnhinweise an die Bevölkerung. Die für die Erdbebenwarnung notwendigen Daten werden von intelligenten Sensoren des GFZ bereitgestellt, die das bestehende Netzwerk des Geologischen Dienstes NRW ergänzen.

„Ideal wäre es, wenn wenige Minuten nach einem Beben bereits erste Maßnahmen ergriffen werden“, betont Hoffmeister. Zu den wichtigsten automatisierten Handlungen zählt aus seiner Sicht, kritische Elemente von Anlagen ohne Zeitverzögerung auf Standby zu schalten oder beschädigte Brücken durch ein Ampelsystem zu sperren. An einer Brücke wird auch ein zweites lokales Monitoringsystem installiert und getestet.  

Das Forscherteam will mögliche Schäden an wichtigen Anlagen auch bildlich darstellen – etwa in 3-D-Modellen auf dem Computer. Dort würden dann an bestimmten Komponenten zustandsbewertende Signale aufblinken. „Die gesamten Schadensprognosen werden somit gebündelt den Verantwortlichen zur Verfügung gestellt. Sie haben gleich einen Überblick, wo es kritisch wird oder ist“, erläutert Hoffmeister.

Der Experte verweist auch auf Defizite in der früheren Bauplanung. „Viele ältere Gebäude sind überhaupt nicht für Erdbeben ausgelegt“, betont er. Hier sei es wichtig, die Behörden zu sensibilisieren – unter anderem durch Risikoanalysen. Das neue System soll künftig überall auf der Welt anwendbar sein. „Wir können ein wichtiges Werkzeug auch für stark erdbebengefährdete Länder schaffen“, erklärt Hoffmeister.

Geoforschung für Nachhaltigkeit (GEO:N)

Das BMBF fördert innerhalb des Fachprogramms „Geoforschung für Nachhaltigkeit (GEO:N)“ seit Anfang 2020 den Forschungsschwerpunkt „Früherkennung von Erdbeben und ihren Folgen“. Die insgesamt sechs Forschungs- und Entwicklungsvorhaben verfolgen das Ziel, das Verständnis über das Auftreten von Erdbeben zu verbessern und die Folgen von seismischen Ereignissen besser bewältigen zu können.