"Coronaviren breiten sich bei niedriger Luftfeuchtigkeit stärker aus" : Datum: , Thema: forschung zu aerosolen in innenräumen
Alfred Wiedensohler ist Professor am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig. Er hat herausgefunden, dass sich Coronaviren bei niedriger Luftfeuchtigkeit in Innenräumen stärker ausbreiten. Darüber haben wir mit ihm gesprochen.
Das TROPOS in Leipzig – der Name deutet es bereits an – ist eigentlich bekannt für seine Forschungsarbeit im Bereich der Troposphärenforschung. Ihr Kernuntersuchungsgegenstand ist somit eine 9 Kilometer bis 15 Kilometer hohe Schicht der Erdatmosphäre, in der das Wetter entsteht. In Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hat das TROPOS allerdings gemeinsam mit dem CSIR-National Physical Laboratory in New Delhi sozusagen einen kleinen Forschungsexkurs unternommen und sich auch mit den klimatischen Verhältnissen in Innenräumen beschäftigt. Wie kam es dazu?
Aerosolpartikel existieren nicht nur in der Atmosphäre, sondern auch in Innenräumen. Seit Monaten gibt es wissenschaftliche Belege zur Übertragung des Virus über Aerosole in der Luft von Innenräumen, was aber von vielen Ländern und Gesundheitsbehörden immer noch nicht berücksichtigt wird. Dies veranlasste unser Team dazu, mögliche Faktoren zu untersuchen, die für die Aerosolübertragung des Corona-Virus über die Luft verantwortlich sind. Parallel dazu haben wir Leitlinien erarbeitet, um Leben zu retten.
Auch in den Medien und im Kontext zur Corona-Pandemie fiel immer wieder der Begriff der „Aerosole“ Was genau ist das?
Jeder von uns atmet Aerosolpartikel ein und aus, ohne sich dessen bewusst zu sein. Aerosole sind ein Gemisch aus festen und flüssigen Partikeln, die in der Luft schweben und eine Größe von wenigen Nanometern bis zu einigen zehn Mikrometern haben. Zur Orientierung: Ein Mikrometer ist ein Tausendstel Millimeter. Die meisten der Aerosolpartikel sind also so klein, dass man sie mit unseren Augen nicht sehen kann. In Innenräumen bestehen die meisten feinen Partikel aus organischer Substanz wie Ruß, Sulfat und Nitrat. Sie entstehen unter anderem beim Sprechen, Singen und bei verschiedenen Arten des Kochens, wie beim Braten, Backen, Frittieren, aber auch beim Rauchen von klassischen und E-Zigaretten oder Abbrennen von Kerzen.
Ihr Forscherteam weist jetzt auf einen Aspekt bei der Übertragung des Corona-Virus über den Luftweg hin, der bisher wenig beachtet wurde und in den Wintermonaten besonders wichtig werden könnte: die Luftfeuchtigkeit in Innenräumen. Was haben Sie herausgefunden?
Generell gibt es viele Faktoren, die die Übertragung des Corona-Virus über die Luft beeinflussen, wie Temperatur, Feuchtigkeit und Sonnenlicht. Beispielsweise wissen wir, dass die relative Luftfeuchtigkeit – wir sprechen vom RH-Wert – in Innenräumen sowohl die Verdunstung als auch das Partikelwachstum beeinflusst. Nun konnten wir zeigen, dass in trockenen Innenräumen, bei einer Luftfeuchtigkeit von unter 40 Prozent die Wahrscheinlichkeit einer Luftübertragung des Corona-Virus höher als in feuchten Räumen mit einem RH-Wert von mehr als 90% ist.
Wie gestaltet sich dieser Zusammenhang genau?
Nach unseren Erkenntnissen wirkt sich die relative Luftfeuchtigkeit dreifach auf die Verbreitung des Corona-Virus in Innenräumen aus: Sie beeinflusst zum einen das Verhalten der Viren in den Aerosolpartikeln und Tröpfchen, zum anderen das Überleben des Virus auf Oberflächen und letztlich auch die Rolle der trockenen Innenraumluft bei der Übertragung der Viren durch die Luft.
So verdampfen die von den infizierten Personen ausgestoßenen Tröpfchen bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von unter 40 Prozent im Vergleich zu höheren RH-Werten schneller, da sie nicht mehr zu Boden sinken. Es bleiben somit mehr Rückstände in der Luft, die von gesunden Menschen eingeatmet werden können. Darüber hinaus werden bei trockener Luft die Nasenschleimhäute trockener und für Viren durchlässiger.
Und was wissen sie zur Viruslebensfähigkeit, der sogenannten Virusviabilität im Zusammenhang mit der relativen Luftfeuchtigkeit?
Die Überlebenschancen des Virus innerhalb der Aerosolpartikel sind bei niedriger Luftfeuchtigkeit, also einem RH-Wert von unter 40 Prozent, am höchsten. Dies liegt daran, dass die kumulative Dosis, das heißt das Produkt aus der Konzentration des gelösten Stoffes und der Zeit, also der entscheidende Faktor für die Abtötung des Virus im Inneren, bei niedrigen RH-Werten nicht hoch genug ist. Auch bei einer Luftfeuchtigkeit von über 60 Prozent ist die Viruslebensfähigkeit im Inneren der Tröpfchen aufgrund niedrigerer Werte der kumulativen Dosis immer noch gegeben. Allerdings verdampfen die Tröpfchen dann langsamer, können nach einiger Zeit zu Boden fallen und sind somit nicht mehr in der Luft. Wir wissen außerdem, dass die Virusviabilität zunimmt, wenn die Feuchtigkeitswerte von 60 auf 80 Prozent oder noch höher steigen.
Was schätzen Sie, um wie viel Prozent etwa könnte die Erhöhung der Luftfeuchtigkeit in Innenräumen die Ansteckungsgefahr reduzieren?
Dies genau zu ermitteln, ist für uns derzeit schwierig. Doch wir wissen, dass eine Luftfeuchtigkeit im Bereich von 40-60 Prozent die Übertragungswahrscheinlichkeit signifikant reduziert.
Welchen Wert hat Luftfeuchtigkeit in Innenräumen im Winter normalerweise?
Das normale Niveau der Raumluftfeuchtigkeit in der Wintersaison liegt bei etwa 30 bis 40 Prozent.
Viele Menschen haben noch Luftbefeuchter für Heizkörper, um die Feuchtigkeit der Innenraumluft zu erhöhen. Denken Sie, dass diese helfen könnten, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren?
In privaten, kleinen Räumen können auch diese helfen, ja. Anderen Orts reichen diese natürlich nicht aus. Daher empfehlen wir insbesondere an schlecht belüfteten Orten wie Krankenhäusern, Schulen und öffentlichen Gebäuden, aber eben auch generell in Wohnungen, die Verwendung von entsprechenden Verdunstungsbefeuchtern, um die luftbasierte Übertragung des Corona-Virus in Innenräumen zu bekämpfen.
Eines möchte ich dabei jedoch anmerken: Wichtig ist, dass dies sorgfältig geschehen sollte, da eine Überschreitung der Luftfeuchtigkeitsgrenzen von über 60 Prozent zu Schimmelbildung in Innenräumen führt. Außerdem wären hohe RH-Werte für die Bewohner von Innenräumen unangenehm.
Ihre Studie ist auf Innenräume angelegt. Kann man die Erkenntnisse dennoch auch auf den Außenbereich übertragen und annehmen, dass sich die Corona-Viren bei winterlichem Nieselwetter schwerer übertragen als bei trockener Sommerluft? Oder anders: Sind Treffen draußen bei schönem Wetter gefährlicher als bei schlechtem Wetter?
Die meisten Infektionsfälle treten in schlecht belüfteten Innenräumen auf. Deshalb haben wir die wichtigsten Faktoren untersucht, die für die Übertragung des Corona-Virus über die Luft verantwortlich sind. Das heißt: Die Raumluftfeuchtigkeit bei niedrigen Temperaturen in der Wintersaison. Diese Faktoren gelten so nicht für das Außenszenario. Bei Treffen im Freien kann sich das Virus generell nicht so stark verbreiten wie in schlecht belüfteten Innenräumen.
Wie lange sollte man Lüften – gibt es da eine Faustregel?
Auch das Lüften ist eine wichtige Methode zur Verringerung des Infektionsrisikos in Innenräumen. Dies kann entweder durch das Öffnen von Fenstern - was bei kalten Winterwetter jedoch über einen längeren Zeitraum kaum möglich ist - oder mit Hilfe der mechanischen Lüftungssysteme erfolgen. Wenn der Raum häufig von mehreren Personen benutzt wird, ist kurzes Stoßlüften spätestens alle 30 bis 60 Minuten sinnvoll. Das Umweltbundesamt empfiehlt sogar, alle 20 Minuten die Raumluft einmal komplett zu erneuern.
Generell empfehlen wir, zum besseren Schutz mehrere Schutzmechanismen, wie beispielsweise das Tragen von Mundschutzmasken oder das angesprochene Lüften, anzuwenden anstatt sich nur auf eine Lösung zu verlassen.
Sehr geehrter Herr Prof. Wiedensohler, wir danken Ihnen für das Interview!