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Weil sie es besser können – Robotersysteme in der Biotechnik
: Datum: , Thema: Internationale Zukunftslabore

Nicolas Cruz traut Menschen viel zu: Noch sind sie klüger und genauer als Roboter, sagt er. Aber Tausende von biotechnologischen Versuchen parallel durchführen – das können Menschen nicht. Deshalb will der Forscher diesen Job Maschinen überlassen.

Intelligentes Steuerungssystem in einer automatisierten Roboterfabrik
Intelligentes Steuerungssystem in einer automatisierten Roboterfabrik © Adobe Stock/panuwat

Staubsaugerroboter kennen wir alle. Autonome Systeme wie diese gibt es in klein und groß. Solche intelligenten Maschinen, Geräte oder auch größere Softwaresysteme erledigen ganz gezielt verschiedene Aufgaben und steuern sich dabei selbst. In viele Branchen haben sie bereits Einzug gehalten, in eine unserer Schlüsseltechnologien aber noch nicht – die Biotechnologie. Nicolas Cruz-Bournazou, Chemie-Ingenieur und Projektleiter des KIWI-biolab, will das gemeinsam mit 31 erfahrenen Forschenden ändern. Er selbst sieht seine wichtigste Aufgabe darin, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Projekt zusammenzubringen. Wenn Roboter biotechnologische Tests selbst steuern würden, könnte die Herstellung von entsprechenden Produkten und Arzneimitteln billiger, ergiebiger und nachhaltiger werden, so die Vision des Teams.

Möglich wurde das Projekt durch die Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Seit über einem Jahr arbeiten Forschende des KIWI-biolab aus Südkorea, Vietnam, Russland, Österreich, Deutschland, USA und Argentinien daran, die Biotechnologie mit Hilfe intelligenter Robotersysteme nach vorne zu bringen. Das Besondere am Team: Die Mitglieder haben ganz unterschiedliche Fachgebiete – Biotechnologie, Mathematik, Computerwissenschaften oder Bioverfahrenstechnik – und arbeiten fachübergreifend. Angesiedelt ist das KIWI-biolab im Fachgebiet Bioverfahrenstechnik an der Technischen Universität Berlin.

Wärme, Säure, Luft – gutes Klima lässt Zellen gut wachsen

Produkte, die biotechnologisch hergestellt werden, gehören zu unserem Alltag: Waschmittel, Medikamente oder Joghurt. Bei ihrer Produktion kommen lebende Zellen zum Einsatz – etwa von Pilzen, Pflanzen oder Tieren. Mikroorganismen wie Bakterien setzen innerhalb dieser Zellen tausende biochemische Reaktionen in Gang, auf diese Weise bilden sich große und komplexe Eiweiße (Proteine) mit einer perfekten Struktur. Im besten Fall entsteht dadurch ein Wirkstoff, der in der Medizin, Chemie oder in der Landwirtschaft genutzt werden kann. Bei KIWI-biolab sind die Endprodukte meist Proteine (Biopolymere), Biodiesel oder Medikamente.

Auch sauberes Wasser in der Kläranlage ist das Produkt solcher bioaktiver Prozesse. „Das Abwasser ist hier das Nährmedium, es enthält verschiedene organisch-biologische und chemische Stoffe. Bakterien ernähren sich von diesen Stoffen und vermehren sich, dabei wandeln sie den Schlamm in reines Wasser um.“ An diesem Beispiel erklärt Cruz-Bournazou, das Prinzip der Biotechnologie. Unter bestimmten Bedingungen funktioniert der Abbau besonders gut: Stickstoffgehalt, Sauerstoffzufuhr, Temperatur oder Säureanteil (pH-Wert) spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit Hilfe von Hochdurchsatzverfahren können Forschende das Wachstum von Tausenden von Organismen unter verschiedenen Bedingungen testen und herausfinden, welche Einflüsse für die Herstellung von bestimmten Produkten besonders günstig sind.

„So können wir zum Beispiel Escherichia-Coli-Bakterien, die in unserer Darmflora vorkommen, mit unterschiedlichen Methoden leicht genetisch verändern, das wäre eine typische Anwendung im Hochdurchsatzverfahren“, so der Projektleiter. „Danach testen wir alle Bakterien, um herauszubekommen, welche der Organismen überleben, welche gut wachsen, und welche genau das produzieren, was wir brauchen.“

Hamilton Pipettierroboter, der bei Laborexperimenten Flüssigkeiten überträgt.
Hamilton Pipettierroboter, der bei Laborexperimenten Flüssigkeiten überträgt. © TU Berlin/PR/Felix Noak

Der selbstfahrende Biotech-Kasten

Die Tests im Hochdurchsatzverfahren sind langwierig und kostspielig. An diesem Punkt setzt das Team von KIWI-biolab an und nutzt dabei Machine Learning, einen Teilbereich der Künstlichen Intelligenz. Zwar führen bereits Roboter biotechnologische Versuche durch. Allerdings sind es nur einzelne Schritte wie etwa das Pipettieren, denn nach wie vor sind es Menschen, die die Ergebnisse der Tests analysieren. Sie schauen sich die Daten an und überlegen, was beim nächsten Versuch anders gemacht werden muss. Die Roboter müssen dann so lange warten oder suboptimale Versuche durchführen, bis Forschende den nächsten Versuch aufsetzen.

Die Idee des KIWI-biolab-Teams ist: Robotersysteme sollen bereits während des Versuchs mit Hilfe von Algorithmen die entstehenden Daten auswerten, dann selbst die richtigen Entscheidungen für die nächsten Tests, etwa im Hinblick auf Temperatur oder Druck treffen, und schließlich den nächsten Versuch planen und ausführen. Damit werden Menschen bei der Analyse und Versuchsplanung in die Lage versetzt, große Datenmengen und Entscheidungsvariablen rechtzeitig zu überarbeiten. Versuche müssten dann nicht mehr durch Wartezeiten unterbrochen werden. Hinzu kommt, dass es für die Forschenden schwierig ist, mehr als 40 Versuche zu planen. „Für Robotersysteme sind 1.000 Tests und mehr nur eine Frage der Rechenkapazität“, erklärt Cruz-Bournazou. Wer sich allerdings vorstellt, dass sich dabei humanoide Roboter durch das Labor bewegen, liegt falsch. „Es ist vielmehr ein großer Kasten, der gleichzeitig eine hohe Anzahl von biotechnologischen Versuchen steuern kann“, beschreibt der Forscher.

Kleinformat und Großformat durch KI verbinden

Das Team von KIWI-biolab will das vollautomatisierte Vorgehen zunächst mit verschiedenen Substanzen testen. „Dadurch wollen wir die Allgemeingültigkeit unseres Ansatzes beweisen“, sagt der Projektleiter. Dabei haben die Forschenden einen besonderen Bereich im Blick – die Großskalierung (Scale-up). Bislang liegt eine der großen Herausforderungen der biotechnologischen Prozessentwicklung darin, im Labor die Prozessbedingungen so zu gestalten, dass sie auch in einem großen Bioreaktor unter industriellen Bedingungen eine profitable und nachhaltigere Alternative zu herkömmlichen Produktionstechnologien bieten. „Ein Reaktor kann so groß sein wie ein Einfamilienhaus, typischerweise befinden sich darin große Rührer, und es finden viele Energie- und Stofftransportvorgänge statt“, erklärt Cruz-Bournazou.

Ein wichtiger Fokus des Labors besteht deshalb darin, die unterschiedlichen Größen – ob Labor oder Bioreaktor – mit Hilfe des Maschinellen Lernens so miteinander zu verbinden, dass die Entwicklung neuer Substanzen möglichst effizient ist. Zwar werden bereits bei der Suche nach neuen Wirkstoffen KI-Verfahren angewandt. Beim Virtual Screening etwa durchsucht ein Programm viele Bibliotheken mit Molekülen und berechnet Verbindungen, die höchstwahrscheinlich bioaktive Strukturen bilden – oder es sucht Enzyme aus, die sich am besten für die chemische Reaktion eignen. „Die typischen Anwendungen des Virtual Screening arbeiten bislang allerdings nur mit ganz kleinen Screening-Mengen und hören mit der Berechnung auf, sobald das beste Protein ausgewählt ist. Sie kommen also erst gar nicht so weit, den Verlauf einer Kultivierung in der Größe eines Bioreaktors zu berechnen“, erklärt der Wissenschaftler.

Diese Lücke will das KIWI-biolab schließen. „Das würde der Biotechnologie einen großen Schub verleihen“, ist Cruz-Bournazou überzeugt, vor allem die Umwelt könnte davon profitieren. Denn Bioprozesse verlaufen in der Regel unter milderen und nachhaltigeren Bedingungen als chemische Prozesse und erzeugen oft Produkte, die biologisch abbaubar sind wie etwa Bioplastik.

Tecan Pipettierroboter mit 2mag Mini Bioreaktor.
Tecan Pipettierroboter mit 2mag Mini Bioreaktor. © TU Berlin/PR/Felix Noak

In Zukunft: mehr Biotech, weniger Chemie?

Könnten dann biotechnologische Prozesse die klassische chemische Produktion sogar ersetzen? Die Forschenden des KIWI-biolabs sprechen immer wieder über diese Frage. Noch hat die chemische Produktion einen wichtigen Vorteil: Sie kann einfacher und sicherer entwickelt werden, weil die Prozesse viel besser bekannt sind. „Heutzutage ist es gang und gäbe, ein chemisches Produkt fast nur mit Computersimulationen zu entwickeln, um dann in größeren Skalen ein paar Tests zu machen und die Produktion an einem beliebigen Standort nachzubauen“, sagt Cruz-Bournazou. Mit lebenden Zellen geht das nicht so einfach. Der Wechsel des Produktionsstandortes würde beispielsweise eine andere Qualität des Wassers und des Getreides, das Bestandteil des Nährmediums ist, bedeuten. Diese Schwankungen würden in einem biotechnologischen Prozess große Unterschiede beim Endprodukt verursachen.

Hier können intelligente Roboter-Systeme Abhilfe schaffen, davon ist Cruz-Bournazou fest überzeugt: „Wenn wir es schaffen, die biotechnologische Entwicklung durch die Anwendung von computergestützten Methoden und Robotern, Maschinellem Lernen und KI ein bisschen stabiler, schneller und robuster zu machen, kommen wir einen großen Schritt näher an die chemische Produktion heran.“ Die Forschenden des KIWI-biolab können sich durchaus vorstellen, dass langfristig die biotechnologische Produktion die Industrie nachhaltiger machen kann. Und das wäre nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit und CO2-Reduktion. Vielleicht hätte Cruz-Bournazou dann auch ein bisschen mehr Zeit für das, was er auf keinen Fall den Maschinen überlassen möchte, und nur mit echten Menschen betreiben möchte: die gemeinsame Forschung.