Nanohybrids: Wissenschaft kennt keine Grenzen : , Thema: Preisträger 2021
Zu forschen bedeutet für Prof. Irina Smirnova, mit Kreativität etwas Neues zu schaffen, von dem viele Menschen profitieren. Im Gastbeitrag gibt die Verfahrenstechnikerin fachliche und private Einblicke in das erfüllte Leben einer Wissenschaftlerin.
Von Prof. Irina Smirnova
Im Forschungsprojekt „NanoHybrids“ haben wir uns mit Aerogelen beschäftigt. Das sind die leichtesten Feststoffe der Welt – hochporöse und federleichte Materialien, die fast überall eingesetzt werden können: zur Wärmedämmung, in Filtersystemen, in der Biomedizin oder auch in Lebensmitteln oder der Landwirtschaft. Ich bin ein Mensch, der sehen und anfassen will, was er leistet, deshalb schwärme ich so von meinem Arbeitsbereich, der Verfahrenstechnik. In der Verfahrenstechnik können wir etwas gestalten, kreativ sein und tatsächlich etwas ganz Neues schaffen, von dem viele Menschen profitieren. Verfahrenstechnik leistet auch entscheidende Dienste in der Bioraffinerie, wenn aus Biomasse unter möglichst vollständiger Verwertung aller Rohstoffkomponenten verschiedene Zwischen- und Endprodukte nachhaltig erzeugt werden, zum Beispiel Chemikalien, Werkstoffe oder Bioenergie. Hier entstehen auch biobasierte Aerogele, die in der Biomedizin eingesetzt werden können, zum Beispiel zur Wundheilung.
Mikrobaustoff der Zukunft duftet nach Himbeere
Aerogele herzustellen ist fast ein wenig wie Zauberei und ich freue mich darüber, dass diese Mikrobaustoffe der Zukunft bereits 15 Einträge im Guinnessbuch der Rekorde haben. So wird das Interesse von Laien geweckt, die sich ganz grundsätzliche Fragen stellen, etwa ob Aerogele riechen. Nein, lautet die Antwort, das tun sie nicht. Wir können aber dafür sorgen, dass sie es tun. Nach Himbeere, vielleicht auch nach Mandel oder was immer gewünscht ist für den Einsatz in der der Lebensmitteltechnik. Und wie es sich anfühlt, ein Aerogel in der Hand zu halten? „Federleicht und herrlich zart!“ Wir setzen das Preisgeld aus dem Ralf-Dahrendorf-Preis für den Europäischen Forschungsraum (EFR) für unser Projekt „AeroAlle“ um, damit in Zukunft noch mehr Menschen die Aerogele besser kennenlernen können. Ab Dezember 2021 bieten wir mit einem neuen Online-Portal Einblicke in die Forschung dazu. Ich fände es großartig, wenn unsere Forschung Jugendliche dazu inspiriert, naturwissenschaftliche Kurse in der Schule zu belegen oder MINT-Fächer bei der Studienplatzwahl in Erwägung zu ziehen.
Mit physikalischer Chemie den eigenen Weg gehen
Dass ich in den Naturwissenschaften „gelandet“ bin, hat mit meiner familiären Prägung zu tun. Ich bin in Russland aufgewachsen, beide Elternteile haben sich mit Physik befasst, mein Vater arbeitete als Hochschullehrer in St. Peterburg, meine Mutter ist ebenfalls in Physik promoviert. Es ist nicht so, dass meine Eltern mich gedrängt haben, naturwissenschaftliche Fragen haben mich einfach schon immer interessiert. Dass mich als Schülerin eine tolle Chemielehrerin unterrichtete, hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich mich für das Studienfach „Physikalische Chemie“ entschieden habe. Ein bisschen wollte ich mich damit auch von meinem Vater abgrenzen und meinen eigenen Schwerpunkt setzen. Für Forschungsaufenthalte habe ich Russland verlassen und mich ein bisschen in der Welt umgeschaut.
Ehrfürchtig die Koryphäen der Zunft angefragt
Als neugieriger Mensch wollte ich immer die Welt entdecken. Dafür eignet sich die Wissenschaft hervorragend, denn sie kennt keine Grenzen. Als ich 1999 nach Berlin kam, waren die innerdeutschen Grenzen gefallen und mir gefiel die unglaubliche Aufbruchsstimmung in Europa. Zudem hatte ich mit Prof. Wolfgang Arlt einen fantastischen Doktorvater, der mich immer ermutigt hat. Direktes Lob gab es kaum, aber er hat dennoch mein Selbstwertgefühl entscheidend gestärkt, seinen Spruch „Wir sind die Besten!“ habe ich noch im Ohr und krame ihn gedanklich hervor, wenn es anstrengend wird. Selbstbewusstsein und vielleicht auch eine gewisse Kühnheit gehören, glaube ich, in der Wissenschaft dazu. Nehmen wir das Beispiel „NanoHybrids“. Für dieses Forschungsprojekt habe ich mit etwas Ehrfurcht sehr renommierte Kolleginnen und Kollegen angefragt, die absolutes Expertenwissen mitbringen und die ich als junge Doktorandin bewundert habe. Zum Glück fanden sie unsere Forschungsidee genauso gut wie wir.
Unser Ziel im Forschungsprojekt war, Produktionsverfahren für organische Aerogelpartikel weiterzuentwickeln und erstmals größere Mengen dieser neuartigen Materialien herzustellen. Bislang konnten Aerogelpartikel auf Basis natürlicher Rohstoffe wie Alginat, Chitosan, Zellulose oder synthetischen Polymeren sowie Hybridmaterialien nur in kleineren Labormengen produziert werden. Um diese Materialien aus der Forschung in Industrieanwendungen zu überführen, musste die Herstellungsprozesszeit verkürzt und stabiler gestaltet werden, um organische Aerogelpartikel in definierter Form und ausreichender Menge herzustellen. Wir haben damals in unserem Antrag den Fokus auf die Machbarkeit gelegt – es ist deutlich geworden, dass wir keine Luftschlösser bauen, sondern etwas Handfestes als Ergebnis wollten. Mit der ersten Anlage zur Herstellung von Aerogelen in Partikelform am Technikum der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) ist uns das gelungen. Im Juni 2018 hatten wir dann quasi säckeweise Aerogele in Partikelform.
Läuft es gut, spüren alle den Puls des Projekts
Beteiligt waren zwölf Forschungsinstitute und renommierte internationale Industriepartner aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Russland, Schweden, der Türkei und Großbritannien. Mir hat es großen Spaß gemacht, die Zusammenarbeit zu koordinieren. Das verlangt intensives Engagement, aber das Zusammenwachsen eines guten Teams ist jede Extra-Anstrengung wert. Ich bin sehr dankbar, dass die europäische Forschungsförderung in Europa den Netzwerkgedanken unterstützt und zu persönlichen Treffen ermuntert – wenn nicht gerade eine Pandemie alle dazu zwingt, zu Hause zu bleiben. Denn die persönlichen Begegnungen sind immer Highlights. Mir die Labore anzuschauen, mit Kolleginnen und Kollegen über deren Campus zu laufen, auch persönliche Gespräche zu führen – das ist unglaublich bereichernd, fachlich wie menschlich. Man wächst zusammen, beginnt sich zu duzen, spricht nicht nur über die Arbeit, sondern auch über die Familie und weiß am Ende, wer keinen Fisch mag beim Abendessen. Ich erinnere mich noch gut an eine Reise nach Athen, wo wir an einem lauen Sommerabend gemeinsam an einer langen Tafel saßen. Meine griechische Kollegin, Prof. Paraskevopoulou, die ich bislang als zurückhaltend wahrgenommen hatte, ist regelrecht aufgeblüht. Ich denke, davon hat später auch unsere Zusammenarbeit profitiert, denn für ein gutes Teamwork muss Vertrauen entstehen, damit am Ende alle den Puls des Projekts spüren.
Wissenschaft trägt also auch dazu bei, Grenzen abzubauen und Gemeinschaft entstehen zu lassen. Wir haben nur diese eine wunderschöne Erdkugel und wirken zusammen daran, pfleglich mit ihren Ressourcen umzugehen und sie zu erhalten. Auch das ist ein großes Plus beim Thema Aerogele: Die ökologische Dimension kann man nicht genug betonen. Wir nutzen CO2 als technisches Lösungsmittel, das heißt wir recyclen es und nutzen auch nachwachsende Rohstoffe. Mich freut es sehr, dass unsere Forschung in ein weiteres interdisziplinäres europäisches Forschungsprojekt einfließen wird. Wir hatten damals ein Nanohybrids Meeting in Hamburg, als mich mein ehemaliger Gruppenleiter und jetziger Professor in Spanien, Carlos Gonzalez darüber informierte, dass das europäische Förderprogramm COST (European Cooperation in Science and Technology) ein Aerogel-Forschungsprojekt finanziert. „Breaking News“, haben wir damals gejubelt. Die COST-Förderung erfolgt nach dem „Bottom-up“-Ansatz, das heißt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen Forschungsthemen vor, die sie gefördert wissen wollen und COST-Förderung ermöglicht die europäische Vernetzung. In diesem Projekt sind fast alle europäischen Länder dabei, zudem Staaten wie Singapur oder Jordanien.
Zur Person - Leiterin des Instituts für Verfahrenstechnik an der TU Hamburg
Irina Smirnova studierte von 1993 bis 1998 „Physikalische Chemie“ an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg. Sie forschte auch an der Sogang Universität in Seoul, bevor sie 2002 in Chemieingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin zum Dr.-Ing. promoviert wurde. 2009 habilitierte sie sich an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 2008 wurde sie als Professorin für Verfahrenstechnik an die Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH) berufen und als Leiterin des Instituts für Thermische Verfahrenstechnik bestellt. seit September 2020 ist Prof. Smirnova auch Vizepräsidentin für Forschung an der TU Hamburg, als erste Frau in dieser Position. Sie unterstützt insbesondere die Einwerbung von EU-weiten Projekten durch Kollegen und Kolleginnen der TU Hamburg.