Kulturelle Wirkungen der Reformation : Datum: , Thema: Forschung
Rede von Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, anlässlich des internationalen Wissenschaftskongresses in Wittenberg
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Namen der Bundesregierung begrüße ich Sie zum internationalen Wissenschaftskongress „Kulturelle Wirkungen der Reformation“. Sie hätten kaum einen besseren Platz für Ihre Veranstaltung finden können, als hier in Wittenberg.
Schließlich war es genau hier, wo Martin Luther vor 500 Jahren der Überlieferung nach seine Thesen an die Tür der Schlosskirche schlug. Ob sich dieses Ereignis wirklich so zugetragen hat, wissen wir nicht. Wir wissen aber, was darauf folgte: Die Reformation bildet ein zentrales Ereignis in der deutschen Geschichte und weit darüber hinaus.
Seine religiösen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Auswirkungen erlangten weltgeschichtliche Bedeutung. Die Reformation förderte die Entwicklung eines Menschenbildes, das auf einem neuen christlichen Freiheitsbegriff beruhte. Dabei rückten die Ausbildung der Eigenverantwortlichkeit und die Gewissensentscheidung des Einzelnen in den Mittelpunkt. Die Aufklärung und auch die Entwicklung der Menschenrechte wurden durch die Reformation entscheidend beeinflusst.
Das 500-jährige Jubiläum der Reformation, das wir in diesem Jahr feiern, führt uns erneut die herausgehobene Bedeutung dieses weltgeschichtlichen Ereignisses in all seinen verschiedenen Facetten vor Augen.
Die gesamtstaatliche Bedeutung dieses Ereignisses veranlasst die Bundesregierung, gemeinsam mit den Kirchen, den Ländern, Kommunen und den Trägern der Zivilgesellschaft aktiv an der Gestaltung des Jubiläums mitzuwirken.
Wir wollen deutlich machen, dass die Reformation zu den geistigen Wurzeln unseres Gemeinwesens gehört. Zugleich ist das Jubiläum auch eine große Chance, denn Lutherdekade und Jubiläum ermöglichen eine Verständigung über grundlegende Werte unserer Gesellschaft wie der Rede- und Gedankenfreiheit, der Bedeutung von religiöser Toleranz sowie den Wert einer gemeinsamen Sprache. Dass das allesamt hochaktuelle und politisch überaus wichtige Themen sind, bedarf keiner Erläuterung. Wo Toleranz und Freiheit in Gefahr geraten, sehen wir nur allzu rasch die Probleme und Konsequenzen, die das in der Gesellschaft mit sich bringt. Leider auch in der Wissenschaft. Sie haben sicher verfolgt, wie vor wenigen Monaten am 22. April weltweit – auch hier in Deutschland – die Menschen auf die Straßen und Plätze gegangen und für den Wert und die Freiheit von Wissenschaft und Forschung eingetreten sind. Weil aktuelle Beispiele zeigen, wie schnell diese Freiheit in Bedrohung geraten kann. Und die Bedrohung beginnt nicht erst mit politisch motivierten Urteilen oder „Maulkörben“ für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie beginnt schon viel früher, nämlich mit der Abkehr von der sachlich orientierten Urteilsbildung, mit der Diffamierung von „Experten“ und dem zunehmenden Primat von Wollen und Meinen.
Ich habe mich daher sehr über das Engagement der vielen Menschen hierzulande und in aller Welt gefreut, die am 22.4. sichtbar für die Freiheit der Wissenschaft eingetreten sind. Diese Freiheit und der konstruktive Diskurs als elementare Grundlagen unserer Gesellschaft sind nicht verhandelbar.
Der 22. April 2017 geht natürlich nicht in gerader Linie auf den 31. Oktober 1517 zurück. Aber das Beispiel zeigt uns doch deutlich, welche Chance darin liegt, wenn wir uns mit den grundlegenden Werten unserer Gemeinschaft auseinandersetzen und uns im offenen, konstruktiven Diskurs miteinander über eben diese Werte verständigen.
Das Reformationsjubiläum bietet einen hervorragenden Anlass und Ankerpunkt, um genau das zu tun. Und deshalb engagieren wir uns als Bundesregierung dafür und beteiligen uns daran.
Die Bundesregierung begleitet das Reformationsjubiläum vor allem kulturpolitisch, z.B. durch die Unterstützung von Veranstaltungen unterschiedlichster Art, so auch Ihres Kongresses in den nächsten Tagen hier in Wittenberg. Hinzu kommen bundesweit eine Vielzahl weiterer Konferenzen, Ausstellungen, Konzerte, Maßnahmen der kulturellen Bildung etc. Die vielen unterschiedlichen Veranstaltungen bieten nach meiner Überzeugung auch die Chance, Deutschland als weltoffene Geistes-und Kulturnation zu präsentieren und ein positives Bild hier und im Ausland zu befördern!
Ich freue mich sehr, dass auch aus der Wissenschaft wertvolle Beiträge kommen. Besonders freue ich mich natürlich, dass sich mit der Leucorea und der Universität Halle-Wittenberg auch die Alma Mater des Reformators Martin Luther aktiv einbringt. Sie betreiben damit in den nächsten Tagen also gewissermaßen auch Spurensuche in der eigenen Geschichte. Gemeinsam mit den Universitäten Jena und Leipzig und dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz haben Sie ein Wissenschaftliches Programm konzipiert, das sich sehen lassen kann. Sie werden dabei unterstützt von der Stadt Wittenberg, der Luther-Gesellschaft, der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und weiteren Partnern.
In den kommenden vier Tagen werden Sie sich mit den kulturellen Wirkungen der Reformation auseinandersetzen und zugleich ausleuchten, wie die kulturellen Spuren der globalen Ausbreitung der Reformation zu lesen sind und wie der Bezug zu heute ist, sei es in der Religion selbst, der Kunst, der Politik, aber auch der Erziehung, Bildung und Wissenschaft.
Natürlich war die Reformation – das möchte ich als Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands nochmals betonen – zuerst religiös motiviert. Luther setzte wahre Bußgesinnung gegen den Ablass. Sie hat aber sehr rasch tiefgreifende Veränderungen weit darüber hinaus entfaltet.
Die Übersetzung der Bibel ins Deutsche durch Martin Luther war, wie wir wissen, z.B. ganz wesentlich für eine einheitliche deutschen Schriftsprache und hat weiten Teilen der Bevölkerung Zugang zu Bildung eröffnet.
Martin Luther ging es um den rechten Weg zu Gott. Gleichzeitig rief er aktiv dazu auf, das Bildungssystem der damaligen Zeit grundlegend zu verbessern und auszubauen. Sie kennen sicher das Luther-Zitat: „Auf Bürgermeister, Fürsten und Adel können wir verzichten; auf Schulen aber kann man nicht verzichten, denn sie müssen doch die Welt regieren“ (Martin Luther, Tischreden).
Der von der Reformation ausgehende Bildungsimpuls zielte nicht zuletzt drauf, Verantwortungsbewusste Christenmenschen zu bilden – so in der Sprache der damaligen Zeit, heute möchte man sagen verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger. Sie kennen sicher auch Luthers Appell an die Ratsherren der deutschen Städte, Schulen und Bildungseinrichtungen zu gründen und zu unterhalten. Zahlreiche Ausbildungsstätten – Schulen, Akademien, Universitäten –wurden in der Folge neu gegründet oder einer grundlegenden Reform unterzogen.
Luther gab dazu zwar gewissermaßen die Initialzündung. Er wirkte aber nicht allein, sondern wusste sich von Mitstreitern unterstützt. Denken Sie nur an Philipp Melanchthon. Der Praeceptor Germaniae – also Lehrer Deutschlands, wie er genannt wird – hatte großen Anteil. „Die Jugend recht bilden ist (schon) etwas mehr als Troja erobern“, hat er einmal gesagt. Denken Sie auch an Calvin oder Zwingli.
Mit der Bibelübersetzung und dem Kleinen und Großen Katechismus hat Martin Luther zu seiner Zeit einen entscheidenden Grundstein für ein völlig neues Bildungsethos gelegt, nämlich dasjenige des mündigen, urteilsfähigen und seinen Glauben selbst reflektierenden Christenmenschen im Sinne des Priestertums aller Gläubigen. Zum ersten Mal wurden auch die Gottesdienste in deutscher Sprache gehalten und dadurch plötzlich für jedermann verständlich.
Luther hat dadurch zu einem Abbau des Gefälles zwischen der geistlichen und weltlichen Sphäre beigetragen und dadurch zu einer Aufwertung des weltlichen Lebens. Damit einher ging die Notwendigkeit, nun auch stärker für dieses Leben, für die eigene Entwicklung und eine verantwortliche Weltgestaltung einzutreten, auch im Einsatz für den Nächsten. Bildung und Kultur waren Schlüssel dazu. Bildung und Kultur sind untrennbar miteinander verbunden. „Wenn Kultur eine Person wäre, würde sie Bildung heißen.“ Schöner und präziser als mit diesem Satz von Dietrich Schwanitz lässt sich dieser Zusammenhang kaum beschreiben. Jede Beschäftigung mit Kunst und Kultur ist ein Bildungserlebnis – und jede Vermittlung von Bildung eine Kulturaufgabe. Beide, Kultur und Bildung, gehören untrennbar zusammen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist gerade in diesem Bereich in den vergangenen Jahren ein wichtiger und engagierter Akteur geworden. Seit 2013 fördert das BMBF mit dem Programm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ Maßnahmen der kulturellen Bildung außerhalb der Schule für junge Menschen, die zuhause nicht die Unterstützung bekommen, die für eine erfolgreiche Bildungsbiografie notwendig ist. Dieses Programm wurde überaus erfolgreich evaluiert, so dass die Vorbereitungen für eine zweite Laufzeit des Programms ab 2018 laufen. Dieses wird das BMBF mit bis zu 250 Millionen Euro fördern.
Worum es bei „Kultur macht stark“ geht, sagt schon der Name: Junge Menschen durch aktive Beteiligung an Kunst und Kultur stärken – in ihren Kompetenzen und Fähigkeiten, vor allem aber auch in ihrem Selbstwertgefühl. Das kann zum Beispiel eine Ferienfreizeit mit einem Schwerpunkt Theaterspiel sein, ein, eine Veranstaltungsreihe zur Sprach- und Leseförderung oder das Einstudieren eines Musikstücks. Durchgeführt werden diese Maßnahmen von zivilgesellschaftlichen Akteuren, also von Gruppen und Vereinen, Stiftungen, Bibliotheken und engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich vor Ort in enger Abstimmung mit der Kommune zu einem Bildungsbündnis zusammenschließen.
Natürlich besteht die erste Aufgabe kultureller Bildung darin, Kinder und Jugendliche zum Hervorbringen und zum Erleben kultureller Werke zu befähigen. Aber indem sie das tut, löst sie bei ihnen noch viel mehr aus: Sie öffnet Augen und Ohren, sie macht sprachfähig für Dinge und Empfindungen, zu denen sonst oft die Worte fehlen.
In diesem Sinne lade ich Sie herzlich ein, sich die Ausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ anzuschauen, die gegenwärtig hier in Wittenberg im Augusteum gezeigt wird. Sie ist eine von drei Nationalen Sonderausstellungen, die die Bundesregierung im Rahmen des Reformationsjubiläums fördert. Die Ausstellung beleuchtet den Menschen hinter den Thesen. Denn unbeschadet der Größe und Bedeutung des weltgeschichtlichen Ereignisses der Reformation steht ja ein Mensch dahinter. Wir wissen, dass Luther nicht nur der Autor der 95 Thesen ist, sondern eine überaus vielgestaltige und in Teilen auch sicher nicht unumstrittene Persönlichkeit. Luther wurde bekämpft und bewundert. Er hat inspiriert und provoziert. Die Ausstellung präsentiert zeitgenössische Weggefährten Luthers, aber auch Antagonisten oder Widersacher. Es bleibt dabei nicht im zeitgenössischen, sondern mit den 95 Menschen wandert die Ausstellung gewissermaßen selbst durch die Jahrhunderte und zeigt, wie sich Menschen immer wieder mit Luthers Gedankengut auseinandergesetzt haben – sich damit identifiziert oder sich auch daran gerieben haben. Der andere Teil zeigt 95 Objekte – oder wie der Titel so schön sagt: 95 Schätze – die allesamt auf die eine oder andere Weise Bezug zur Person Luthers nehmen. So wird sein Weg bis zu dem Moment verfolgt, als die Reformation ihren Anfang nahm. Dinge, die er benutzt hat – wie z.B. seinen Schreibkasten – die er in seiner Umgebung hatte, die ihn berührt, vielleicht auch befremdet haben; kurz allesamt Dinge, die seine Welt bestimmt haben und die uns heute helfen zu begreifen, in welchem Umfeld Luther sich bewegt haben muss, als er seine weltverändernden Gedanken entwickelte und zu Papier brachte.
Aber nun will ich Ihnen gerne gutes Gelingen und fruchtbaren Austausch für die nächsten vier Tage und einen angenehmen Aufenthalt hier in Wittenberg wünschen. Auf die Ergebnisse Ihrer Tagung bin ich gespannt!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!