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"Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut"

Lesen Sie hier die Rede von Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger anlässlich der GAIN-Jahrestagung 2024 am 23. August 2024 in San Francisco

© Barak Shrama

Sehr geehrter Herr Professor Mukherjee,
sehr geehrte Frau Dr. Ahrens,
sehr geehrter Herr Dr. Hesse,
liebe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
Ladies and gentlemen!

You might not like it – but there is at least one thing that politics and science have in common. We love abbreviations. Not all of them are successful. But to name this great network GAIN is great. I know you do not hear that for the first time. Especially these days when we hear a lot about decline or losses – GAIN sets a strong counterpoint.

Through international cooperation we GAIN new knowledge - be it incremental or disruptive and thus we GAIN welfare. Through international cooperation we GAIN a better understanding of other countries and cultures.
We build bridges – sometimes also where other relationships are difficult. Through international cooperation with partners sharing the same values we GAIN sovereignty and protect our freedom. And this year San Francisco, California. Sun, surf, Silicon Valley. Inspiring. Innovative. Where future is being made.

Und in Deutschland? Klar, vom August abgesehen, da fehlt bei uns oft die Sonne. Aber in den Laboren, an den Hochleistungsrechnern, in den Maker Spaces: Da geht es nicht weniger dynamisch zu. Mit Amerika sind wir dabei engstens verbunden: Mit einer gemeinsamen Basis, geteilten Werten: Demokratie, Toleranz, Freiheit – natürlich auch die Freiheit der Wissenschaft. Diese Werte, sie sind unsere Stärke.

Offenheit, Dialog, Austausch – die DNA der Wissenschaft –, all das gehört dazu. Und genau dafür steht diese GAIN-Jahrestagung. Sie hat eine lange Tradition. In mehr als 20 Jahren ist großes Vertrauen gewachsen. GAIN ist ein wunderbares, ein wichtiges Netzwerk. Es zeigt, wie eng wir zusammenarbeiten. Ich freue mich, hier sein zu können.

Im Juli war ich auf Einladung der Tel Aviv University auf der AI Week in Israel. Ich hatte Gelegenheit mit israelischen und deutschen Post Docs der Helmholtz-Gemeinschaft zu sprechen. Ein toller Austausch. Auf meine Frage, was man denn voneinander lernen könnte, kam die Antwort eines israelischen Post Doc: „Ich war von der Präzision und der gründlichen Planung meiner deutschen Kolleginnen und Kolleginnen beeindruckt. Und meine Kollegen sicher von meiner Spontanität.“ Die Vielfalt des Wissens, die Vielfalt der Perspektiven.

Aber auch wenn wir die Frage des Gründergeistes anschauen. Hier bei Ihnen renne ich mit solchen Themen sicher offene Türen ein. Sie gehen jeden Tag neue Wege und betreten unchartered territory. Aber in der Breite der Gesellschaft können wir noch ein Stück zulegen beim Mindset. Für mehr Innovationsgeist. Mehr Risikobereitschaft. Wir haben zum Beispiel gerade eine große Offensive gestartet, für Technologieoffenheit. Ausgearbeitet in einem ausführlichen Impulspapier. Ein intensiver Austausch mit den Wissenschaftsorganisationen läuft derzeit.

Auch das ein Teil der Wissenschaftsfreiheit. Denn wenn ich Daten nicht nutzen kann, wenn veraltete Regeln nicht mehr den Stand der Wissenschaft widerspiegeln, dann schränke ich sie ein. „Unmöglich? Nur, bis es gemacht wird.“ So der Titel einer großen Kampagne von uns. Zum Beispiel für Zukunftsenergien. Die Kraft der Sonne auf die Erde holen – unmöglich? Nein! Forschung, Wirtschaft und Politik: Wir nehmen den ersten Fusionsreaktor fest in den Blick. Das ist Motivation aus Erfahrung, nicht aus Naivität. Sondern im Spirit der Moon Speech von John F. Kennedy am 12. September 1962 in Houston Texas: „We choose to go to the moon. We choose to go to the moon, not because they are easy, but because they are hard, because that goal will serve to organize and measure the best of our energies and skills, …“ Weil eine nachhaltige Energieversorgung langfristig wichtig ist.

Oder nehmen wir den Klimawandel: Das große Thema unserer Zeit. Wie können wir künftig die ganze Welt ernähren – umweltschonend und gesund – unmöglich? Nein! Wir haben das Instrument dafür längst entwickelt. In Deutschland. Die Genschere CRISPR-Cas9. Siehe Nobelpreis. Die neuen Züchtungstechniken sind eine Riesenchance.

Oder natürlich: Der Megatrend Künstliche Intelligenz. Wir wissen: KI ist Treiber von Innovation und Wachstum. Und sie braucht Freiräume, um sich entfalten zu können. Sie braucht Daten, die noch besser miteinander verknüpft werden können. Zugleich braucht sie Sicherheit, um die große Neugier und das Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten. Und nur wer führend in Forschung und Anwendung einer Technologie ist, kann die damit verbundenen ethischen Maßstäbe mit setzen.

San Francisco, die Bay Area, sie ist führend, wenn es um KI-Forschung geht. In den Instituten, den renommierten Universitäten, den großen Technologieunternehmen. Dazu die lebendige Start-up-Szene, in der sich alles dreht um maschinelles Lernen, Computer Vision, Robotik. Gerade bei der KI bietet sich Zusammenarbeit mit Deutschland an. Die Kooperation zwischen der University of California und der Universität Kiel zum Einsatz von KI ist da vorbildlich: Für die Interpretation von Röntgenbildern etwa, nur ein Beispiel unter vielen.

Wie passend, dass wir auch hier in San Francisco jetzt ein Deutsches Wissenschafts- und Innovationshaus haben. Es erhöht die Sichtbarkeit des deutschen KI-Standorts, fördert die Zusammenarbeit, zeigt, was in Deutschland aktuell vorangeht. Ganz klar: Wir wollen gerade jetzt mehr disruptive Innovationen. Denn Innovationschancen sind Zukunftschancen.

Jetzt habe ich schon länger über Technologien gesprochen. Aber natürlich gilt dies auch für die Sozial- und Geisteswissenschaften. In einer sich rapide verändernden Welt, sehen wir ein teilweise wütender Widerstand und Beharren auf dem Status Quo. Keine Veränderung – vielleicht sogar wieder zurück. Fragen, die nicht an Grenzen halt machen. Die Erkenntnisse aus der Soziologie und Psychologie. Um nur Daniel Kahnemann, der ein wunderbarer Wissenschaftskommunikator ist, zu nennen: Über die Verlustängste, die Anstrengung, die mit Veränderung verbunden ist. Aber auch die Frage, warum faktenbasierte Argumente keinen Widerhall finden. Alles Zukunftsthemen, die wir ohne eine starke, freie Wissenschaft nicht werden lösen können.

Wie ermöglichen wir, dass die Wissenschaft ihre ganze Kraft entfalten kann?

Ganz klar stehen bei der Frage der exzellenten Wissenschaft nicht Institutionen oder Programme im Zentrum. Es geht um Menschen. Um Talente. Patrick Cramer, der Präsident der MPG, hat in einer seiner Reden es auf den Punkt gebracht: „Die Zukunft entsteht in den Köpfen der Menschen.“ Die besten Köpfe, die besten Ideen sind begehrt. Die Forschungsstandorte stehen im globalen Wettbewerb. Darum geht es auch hier bei GAIN.

Das jüngste Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation bestätigt: Zum Punkt internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Seit 2014 hat sich unser Land von einem Nettogeberland zu einem Nettoempfängerland entwickelt. Es kommen mehr als gehen. Wir sind also auf dem richtigen Kurs, auch bei den Studentinnen und Studenten. Inzwischen stehen wir an dritter Stelle der weltweit beliebtesten Studienorte, hinter den USA und dem Vereinigten Königreich. Das Erfreuliche dabei: Auch nach dem Studienabschluss behält Deutschland seine Anziehungskraft. Im OECD-Vergleich haben wir neben Kanada die höchste Bleibequote von internationalen Studentinnen und Studenten.

Und hinter dem Erfolg steht das viele Engagement aus der Wissenschaft heraus: Prof. Mukherjee, liebe Frau Dr. Ahrens, lieber Dr. Hesse, aber natürlich auch alle, die Verantwortung tragen – nicht zuletzt bei der Internationalisierungsstrategie der Hochschulen - ich bin Ihnen für Ihr Engagement sehr dankbar. Denn das ist natürlich ein großes Plus. Denn wir brauchen diese motivierten Menschen. In der Wissenschaft. In den Unternehmen. Überall.

Und wir sind uns bewusst: Auch ein etablierter Standort wie Deutschland muss agil sein. Nicht zuletzt, um auf die vielen Krisen weltweit zu reagieren. Gleichzeitig brauchen die Menschen in unserem Wissenschaftssystem
persönliche Planungssicherheit. Gerade in frühen Karrierephasen. Auch eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das Tenure-Track-Programm gibt dafür entscheidende Impulse. Hinzu kommt unser Professorinnenprogramm, jetzt mit noch längerer Laufzeit. Und auch die Professurmöglichkeit an HAWs, den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.

Parallel reformieren wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Heiß diskutiert und ein entscheidender Baustein, wenn wir im Wettbewerb um die klügsten Köpfe bestehen wollen. Und das wollen wir! Denn wir wissen: Forscherinnen und Forscher aller Karrierestufen, sie gehen dahin, wo es die besten Bedingungen gibt. Wir arbeiten hart daran, genau diese Bedingungen zu schaffen. Und weil Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen – so erlebe ich das im Austausch – eben genau um ihre Verantwortung für die Zukunft bewusst sind, müssen wir noch mehr Brücken bauen, so dass die Ideen aus den Hochschulen in die Anwendung kommen. Egal wo – am Krankenbett oder zur Stärkung unserer Wirtschaftskraft.

Und dazu gehört natürlich der Transfer in die Praxis. Den wollen wir verbessern. Mit der DATI, unserer neuen Deutschen Agentur für Transfer und Innovation. Und mit dem SPRIND-Freiheitsgesetz. Um die Bundesagentur für Sprunginnovationen zu befreien von bürokratischen Fesseln. Mit einer besseren Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das Silicon Valley kann in vieler Hinsicht Vorbild sein. Auch darum geht es mir bei diesem Besuch. Zu erleben, welche Freiräume es für Geschäftsideen und Start-ups gibt. Wie die Talente frei strömen zwischen Disziplinen und Sektoren. Wie Ansätze ineinandergreifen.

Ganz besonders: Wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich hier fürs Gründen begeistern, eigenen Erfolg auch im Unternehmertum definieren, in Patenten und Produkten, nicht nur in der Zahl ihrer Publikationen. Nicht „they do it“, sondern „I do it“. Transfer passiert nicht einfach. Transfer ist eine Aufgabe, die das richtige Mindset erfordert. Und die richtige Strategie.

Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Ich habe es schon gesagt: Die Welt verändert sich rasant. Geopolitisch: Das Streben nach Macht – es findet sich heute im Wettlauf der neuen Technologien. Aber auch in unserer beider Länder. In Amerika steht eine wichtige Wahl bevor. Mit wem auch immer man sich hier unterhält: das Thema ist allgegenwärtig. In einigen ostdeutschen Bundesländern wird in wenigen Wochen gewählt. Es ist hier nicht meine Aufgabe, eine politische Analyse zu machen. Aber eines steht für mich fest: Wir brauchen eine vertrauensvolle, regelbasierte internationale Zusammenarbeit. Wir brauchen Weltoffenheit. Auch für die Wissenschaft.

Genauso allgegenwärtig in Europa: der Ukraine-Krieg. Unser Leben hat sich verändert durch ihn. Mit Konsequenzen auch für die Wissenschaft. Als Reaktion hat unser Ministerium alle laufenden und geplanten Aktivitäten mit Russland eingefroren. Hinzu kommt die Rivalität mit China und anderen Autokratien. Die Sorge vor Ideendiebstahl, Einflussnahme, Bedrohung. Das gibt dem Thema Forschungssicherheit einen neuen Stellenwert.

Und dann der Konflikt im Nahen Osten. Mit einem Echo bis hinein in unsere Universitäten. Unsere Hochschulen, sie sind ganz zentrale Orte der Demokratie. Orte des Dialogs. Orte des Streits – auch das müssen sie bieten.,
wie sehr wir derzeit gefordert sind: Für einen offenen Diskurs einzutreten. Und zugleich gegen Antisemitismus. Gegen Diskriminierung und Gewalt aller Art. Wir müssen den kostbaren Debattenraum Hochschule erhalten.

Schauen wir auf die Mutigen – oft Frauen – im Iran. Das Auflehnen gegen Unterdrückung ging von den Universitäten aus. Warum haben Despoten Angst vor Bildung und Wissenschaft – weil Pen and Book die größte Bedrohung für Autokraten sind. Weil wir mit den alten Wegen, die neuen Herausforderungen nicht lösen können und nur mit der Wissenschaft Zukunft gestalten können. Es ist mir wichtig, auch das hier in San Francisco noch einmal ganz klar zu sagen: Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Im Grundgesetz verankert. Ein Schatz, der unseren Fortschritt sichert. Nicht zuletzt unseren Wohlstand, unser Lebensmodell. Darum verteidigen wir die Wissenschaftsfreiheit in jede Richtung.

Meine Damen und Herren, es freut mich sehr, sagen zu können: Die deutsch-amerikanischen – sie sind gut aufgestellt. Mehr als 2.300 Hochschulpartnerschaften, in einem engen Netzwerk bilateraler Forschungsprojekte.
95 bi- und multilaterale Forschungsprojekte fördert derzeit allein unser Haus, das BMBF. Und die deutschen Allianzorganisationen, sie unterhalten traditionell enge wissenschaftliche Kooperationen mit den USA:Die DFG fördert zahlreiche bilaterale Einzelprojekte. Dazu die Max-Planck-Gesellschaft mit vier Centern und einem Institut. Fraunhofer agiert in den USA inzwischen als eigene Rechtspersönlichkeit. Der DAAD hat eigene Auslandsbüros.

So viele Brücken über den Atlantik. Und die Wichtigste, die verkörpern Sie, liebe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie leben diesen Austausch. Sie zeigen jeden Tag, wie sehr wir einander vertrauen können, wieviel Mehrwert die Zusammenarbeit bringt. Deswegen: Nutzen Sie Ihre Zeit in Amerika intensiv. Natürlich. Aber denken Sie auch an Deutschland. Kommen Sie nach Ihrer Arbeit in den USA gern zu uns zurück. Bereichern Sie den Wissenschaftsstandort Deutschland. Ihr Talent, Ihr Wissen, Ihre Innovationskraft: All das ist hoch willkommen.

Ladies and gentlemen,
Let me assure you,
All of you gathered here – wherever you were born: The doors to Germany as a research and science location are wide open.
From Berlin to Munich,
from Frankfurt Main to Frankfurt Oder:
We welcome you!