"Wir überlassen nichts dem Zufall" : Datum: , Thema: MOSAiC-Expedition
"Haben wir alles?" Wer verreisen möchte, kennt diese Frage. Nur müssen die meisten von uns nicht 48 Schiffscontainer einpacken – so wie Verena Mohaupt. Sie ist der Kopf hinter der Logistik von MOSAiC – der größten Arktisexpedition aller Zeiten.
Frau Mohaupt, Sie verantworten zusammen mit Ihrer Kollegin Bjela König die Logistik für die bislang größte Arktis-Expedition MOSAiC. Es ist ein gewaltiger Organisationsaufwand. Als Ihnen die Aufgabe übertragen wurde – haben Sie da jubiliert oder erst einmal durchgeschnauft?
Ich wusste schon, was auf mich zukommt. Bevor ich die Vollzeitstelle für die Logistik der MOSAiC-Expedition angetreten habe, war ich schon zeitweise in die Vorbereitungen involviert. Ich habe mich ja dann auch gezielt auf die Stelle beworben. Doch die ganze Dimension wurde mir erst nach und nach bewusst. Ich kann mich noch an das erste Meeting mit Expeditionsleiter Markus Rex erinnern: Wir trafen uns zu einem Arbeitsessen und ich habe fast gar nichts gegessen, sondern mein Notizbuch vollgeschrieben. Es waren unglaublich viele Dinge zu erledigen.
Wann haben Sie konkret mit den Vorbereitungen begonnen?
Die Vorbereitungen haben meines Wissens vor fünf Jahren begonnen. Damals wurde das Projekt beantragt und es fanden erste Treffen statt. Das Konzept steckte allerdings schon viel früher in den Köpfen. Ich bin dann im März des vergangenen Jahres in Vollzeit eingestiegen. Den Auftakt, wenn man so will, bildete ein großer Workshop für MOSAiC-Teilnehmer in Potsdam, bei dem ich viele logistische Rahmenbedingungen abstecken konnte. Es ging um Fragen wie: Welche Ausrüstungsgegenstände sind schon vorhanden? Welche Einschränkungen sind notwendig? Welche Sicherheitsbestimmungen gibt es? Was haben die einzelnen Teams vor? Auf diese Weise haben wir uns einen Überblick verschafft, welches Equipment mit an Bord muss und wie wir den begrenzten Platz aufteilen können.
Welche Ausrüstungsgegenstände zählen zur Expedition?
Unzählige Sensoren, Messinstrumente, aber auch schweres Gerät wie Schneemobile, Pistenbullys, Eisfräsen und Unterwasserroboter. Dazu viele Kilometer Kabel, Kabelständer, Flaggen und so weiter. Es ist eine lange Liste. Vieles bringen die teilnehmenden Forschungseinrichtungen aber schon verpackt in eigenen Laborcontainern mit, die in Tromsø auf die „Polarstern“ verladen werden.
Kisten packen ist eine von vielen Aufgaben - wofür wurde die meiste Zeit verwendet?
Einen großen organisatorischen Aufwand stellten die Verträge mit den vier Versorgungseisbrechern und anderen Dienstleistern dar, die im Detail ausgehandelt werden mussten. Der Austausch der Besatzungen und die Versorgung müssen reibungslos funktionieren. Es wurden zudem Experten für die Errichtung von Landebahnen auf dem Eis engagiert. Andere Fachleute haben im Vorfeld schon ein Teil der Infrastruktur aufgebaut wie mobile Tankstellen. Das Teilnehmermanagement kostet auch viel Zeit – wir verteilen unglaublich viele Informationen und senden regemäßig Updates an alle.
Stichwort Ladekapazität: Man stellt sich eine Urlaubsreise mit der Familie vor – das Gepäck türmt sich vor dem Auto, aber der Kofferraum ist klein. Wie gelingt es Ihnen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Verzicht zu überreden?
Dieses Thema hatten wir die ganze Zeit: Jeder muss sich einschränken. Doch trotz eines guten Managements kann es kurz vor dem Start noch einige Überraschungen geben, denn ein Großteil wird erst in Tromsø verladen. Dort haben wir noch eine Woche zum Repacking. Die Erfahrungen sind zwar vorhanden, aber viele Wissenschaftler haben zunächst ihr Projekt im Blick. Fest steht: Es wird deutlich voller als auf den bisherigen „Polarstern“-Fahrten.
Bei welcher Katalognummer der Ausrüstungsgegenstände sind Sie jetzt angelangt?
Ich habe noch keine finale Nummer im Kopf, nur so viel: Bislang haben wir 48 Container eingeplant.
Ein anderes Thema: Welche Rolle spielt die Sicherheit an Bord?
Die Sicherheit spielt eine große Rolle. Es werden Konzepte für alle möglichen Szenarien entwickelt, die potenzielle Gefahren darstellen. Daraus werden Vorschriften für alle Teilnehmer entwickelt und von den Sicherheitsteams an Bord umgesetzt. Die größte Herausforderung: Es wird viel mehr als bei den bisherigen Polarsternexpeditionen auf dem Eis gearbeitet. Und hier stellt die Kälte die größte Gefahr dar. Es werden viele Geräte und Messstationen in zum Teil kilometerweiten Entfernungen aufgebaut, diese Ausrüstung muss unter jeglichen Bedingungen funktionieren. Wir überlassen nichts dem Zufall und haben die an uns gelieferten Spezialanzüge intensiv getestet - auch im eiskalten Wasser. Der Schutz vor Eisbären ist ebenfalls ein wichtiges, aber nicht das entscheidende Thema. Um die Forscher zu warnen, werden Stolperdrähte mit Sensoren in der Nähe der Camps installiert. Darüber hinaus wurden Sicherheitstrainings absolviert.
Kann man die Abläufe während der Expedition bereits im Vorfeld trainieren?
Es wurden diverse Materialtests durchgeführt, es gab Trainings in Finnland und in Alaska – speziell für Wissenschaftler. Dort haben die Teilnehmer der Expedition gelernt, wie sie effektiv und intensiv zusammenarbeiten. Denn die Zusammenarbeit verschiedener Teams aus unterschiedlichen Ländern hat mit dieser Forschungsfahrt eine neue Dimension erreicht. Es gab Sicherheitstrainings zum Umgang mit Eisbären sowie einen Kettensägenkurs. Außerdem einen Kurs zur richtigen Befeuerung der Landebahnen, ein Kurs für das Fliegen in Helikoptern und so weiter.
Auch wenn alles genau geplant und durchgespielt wurde: Welche Restrisiken bleiben?
Man kann in solchen Gegenden und unter solchen Bedingungen niemals ohne Restrisiken arbeiten. Unsere Aufgabe ist aber, diese Risiken weitgehend zu minimieren. Zudem können wir auf bewährte Evakuierungspläne und Notfallszenarien zurückgreifen. Denn die „Polarstern“ ist ja nicht das erste Mal in den Polarregionen unterwegs.
Wie schnell könnten die Evakuierungsmaßnahmen anlaufen?
Das ist schwer zu sagen. Es hängt von der Position des Schiffs und den Wetterbedingungen ab, wie schnell die Rettungsteams vor Ort sein können. Für die Infrastruktur ist jedenfalls gesorgt. So wurden Treibstoffdepots auf arktischen Inseln ausgebracht, die Langstreckenhelikopter für Rettungsflüge ansteuern können. Realistisch betrachtet muss man mit mindestens zwei bis drei Tagen rechnen, bis die Evakuierung anläuft. Auch medizinische Notfälle müssen eingeplant werden.
Was ist die größte Herausforderung während der Expedition?
Ein entscheidender Punkt für unsere Expedition ist der Verlauf der Eisdrift. Nördlich von Grönland teilt sich die Eisdrift auf. Hier müssen wir die Abzweigung in Richtung Framstraße erreichen, sonst würden wir eine ganze Weile nicht so leicht aus dem Eis herauskommen. Unsere Experten haben aber verschiedene Modelle kombiniert und den idealen Startpunkt gewählt. Ich bin zuversichtlich, dennoch gibt es noch Unwägbarkeiten, auch hinsichtlich des Zustandes des Eises.
Sie fahren gleich im ersten Abschnitt der MOSAiC-Expedition mit, um am Aufbau der Infrastruktur zu arbeiten. Das heißt auch, dass Sie sich auf wochenlange Dunkelheit und an das Leben auf engstem Raum einstellen müssen. Haben Sie Angst vor einem Lagerkoller?
Angst habe ich nicht, weil ich diese Situation durch die Arbeit in der Station auf Spitzbergen kenne. Man kann sich an das Leben in monatelanger Dunkelheit gewöhnen. Ich war auch schon auf einem Forschungsschiff unterwegs. Das Besondere ist, dass es dort kaum Privatsphäre gibt – und man rund um die Uhr zusammenarbeitet und zusammenlebt. Es ist wichtig, sich Rückzugsräume zu schaffen, mal die Tür zur Kajüte zu schließen, ein Buch zu lesen und sich kleine Auszeiten zu nehmen.
Eine grundsätzliche Frage: Welche Bedeutung hat diese Expedition mit 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 19 Ländern aus Ihrer Sicht für das Verständnis des Klimawandels?
Es war höchste Zeit, dass diese Expedition durchgeführt wird, um mehr Daten über den Klimawandel zu gewinnen. Denn bestimmte Prozesse in dieser Region haben sich schon verändert, ohne dass sie jemals erforscht werden konnten.
Als Sie auf Spitzbergen waren: Gab es Ereignisse, die den Klimawandel greifbar gemacht haben?
Erfahrene Kollegen haben dort Aufnahmen gezeigt, die bewiesen haben, wie sehr sich die Arktis schon verändert hat. Ich fand es persönlich beunruhigend, dass es selbst mitten im arktischen Winter wochenlang auf Spitzbergen geregnet hat und die Lufttemperatur knapp über null Grad Celsius war. Das hat sich bei mir eingeprägt. Die Dinge, die ich dort gesehen habe, passen zu jenen Ergebnissen, die in der Forschung hundertfach beschrieben wurden.
Welche Signale kann die MOSAiC-Expedition an die internationale Gemeinschaft aussenden?
Ganz persönlich gesagt: Die Daten und Fakten, die wir bislang in der Arktis und Antarktis gesammelt haben, müssten eigentlich schon starke Signale aussenden. Aber es gibt Zusammenhänge, die wir noch nicht verstanden haben, auch das Ausmaß des Klimawandels muss weiter erforscht werden. Die sich ständig verändernden Klimamodelle zeigen nur in eine Richtung: Die negativen Folgen werden wohl noch schneller kommen als befürchtet. Es gibt genügend Warnungen. Die MOSAiC-Expedition zeigt aber auch, dass Forscher aus verschiedenen Nationen für ein großes Ziel zusammenarbeiten können – was in der internationalen Politik nicht immer funktioniert. Das ist auch ein starkes Signal.
Frau Mohaupt, wir danken Ihnen für das Gespräch.