„Wir schotten die kranken Kinder nicht ab“ : Datum: , Thema: Aktuelles
Palliativforscherin Pia Schmidt möchte Kindern mit lebenslimitierenden Erkrankungen, die von multiresistenten Keimen besiedelt sind, soziale Teilhabe ermöglichen. Ein neues Hygienekonzept soll die Isolation unnötig machen. Ein Interview mit bmbf.de.
Bmbf.de: Frau Schmidt, Sie forschen im Projekt PALLINI zur Verbreitung von multiresistenten Keimen (MRE) bei Kindern mit lebenslimitierenden Erkrankungen. Warum sind solche Kinder besonders gefährdet?
Pia Schmidt: Das Risiko ist groß, da sie oft lange in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen sind und häufig Antibiotika einnehmen müssen. Zudem siedeln sich Keime bevorzugt an Eintrittsstellen von Kathetern oder Sonden an, welche bei den meisten Erkrankten vorhanden sind.
Wie beeinflussen MRE Ihre tägliche Arbeit?
Bisher ist es üblich, MRE-Patienten zu isolieren. Das ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen sehr belastend – denn körperliche Nähe und soziale Teilhabe sind so kaum möglich. Wir versuchen durch unsere Forschung den Schutz vor Infektionen und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in Einklang zu bringen.
Wie genau wollen Sie das schaffen?
Wir haben bei uns im Kinderpalliativzentrum Datteln ein alternatives Hygienekonzept entwickelt. In den kommenden zwei Jahren untersuchen wir, ob das Konzept sicher ist. Also, ob wir MRE-Patienten am Stationsalltag teilhaben lassen können, ohne andere Patientinnen und Patienten zu gefährden.
Was ist neu an Ihrem Hygienekonzept?
Wir schotten die kranken Kinder nicht ab: Die Türen dürfen offen stehen und sie können ihre Zimmer verlassen. Das ist möglich, da wir verstärkt auf die sogenannte Barrierepflege achten und diese auf die Kinder erweitern.
Können Sie das genauer erklären – was bedeutet Barrierepflege?
Händedesinfektion, Einmalkittel und -handschuhe, Mundschutz: All das gehört zur Barrierepflege, die üblicherweise vom Personal und Besuchern angewandt wird, wenn sie das Patientenzimmer betreten. Bei uns kann diese Barriere auch von den Patienten selber ausgehen, indem sie die Schutzkleidung tragen, wenn sie ihr Zimmer verlassen.
Das klingt nach mehr Aufwand. Wie kommt ihr Konzept bei den Pflegekräften an?
Natürlich bedeutet all das einen Mehraufwand für die Pflegerinnen und Pfleger. Aber die machen das gerne, wenn sie dadurch die Lebensqualität der Kinder verbessern können. Letztlich sollen unsere Forschungsergebnisse das Pflegepersonal aber entlasten. Denn wir fragen in unserer Studie auch, wie wir die palliative Pflegepraxis langfristig verbessern können.
Wie reagieren die Angehörigen der Erkrankten auf Ihr Konzept?
Sie nehmen den Mehraufwand gerne in Kauf, wenn sie dadurch ihren Kindern helfen können. Es ist uns sehr wichtig, die Eltern bestmöglich mit einzubeziehen und mit ihnen frühzeitig über Ängste und Sorgen zu sprechen. Denn sie kennen ihre Kinder am besten und können auch die Körpersprache deuten. Das ist für unsere Forschung unverzichtbar, da die meisten unserer Patienten eine geistige oder körperliche Behinderung haben und keine Selbstauskunft geben können.
Was sind weitere Herausforderungen für Ihre Studie?
Die Palliativversorgungsforschung ist eine junge Disziplin, in der es noch viele Forschungslücken gibt. Studien sind jedoch aufgrund der geringen Anzahl an Patienten, der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten der Patienten und der Vielzahl an Krankheitsbildern nicht leicht zu erstellen. Von daher ist es umso wichtiger, dass das Bundesforschungsministerium das Fachgebiet durch die Projektförderung aufwertet und uns den Rücken stärkt.
Wie gelingt der Transfer Ihrer Forschungsergebnisse in die Praxis?
Wir wollen am Ende des Projekts ein Handbuch zur Umsetzung unseres Hygienekonzeptes für Patienten, die mit MRE besiedelt sind veröffentlichen, damit auch andere Einrichtungen wie Rehakliniken oder Hospize auf die Einzelzimmerisolation von MRE-Patienten verzichten können. Ziel der Palliativversorgung ist es die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, dazu wollen wir mit unserem Projekt einen Beitrag leisten.