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"Unsere Art zu wirtschaften, stößt endgültig an ihre natürlichen Grenzen" : Datum: , Thema: Aktuelles

Im Gespräch mit der Passauer Neuen Presse spricht Anja Karliczek über den Erhalt begrenzter Ressourcen, Weiterbildung als gesellschaftliche Herausforderung und den Mordfall Lübcke. "Eine solche Tat ist ein Anschlag auf unsere Gesellschaft", sagt sie.

"Politiker dürfen nicht zu Freiwild werden", sagt Ministerin Karliczek im Gespräch mit der PNP.
"Politiker dürfen nicht zu Freiwild werden", sagt Ministerin Karliczek im Gespräch mit der PNP. © BMBF/Laurence Chaperon

Das Interview erschien am 22. Juni 2019 in der Passauer Neuen Presse. Die Fragen stellte Andreas Herholz.

Andreas Herholz: Frau Karliczek, nach dem Mord am Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke herrscht Entsetzen. Es gibt weitere Morddrohungen gegen Kommunalpolitiker. Welche Konsequenzen müssen aus der rechtsextremen Bedrohung gezogen werden?

Anja Karliczek: Wer ein öffentliches Amt ausübt, ist oftmals Zielscheibe von Attacken. Das fängt mit Häme und Hetze in Postings oder in Kommentaren im Netz an. Und setzt sich dann in einigen Fällen mit roher Gewalt fort. Für mich ist dieser Zusammenhang völlig klar. Das ist eine dramatische Entwicklung für unsere Demokratie. Politiker und Menschen, die sich für eine Sache öffentlich engagieren, dürfen nicht zu Freiwild werden. Ansonsten werden sich immer mehr Menschen aus der aktiven Politik zurückziehen.

Ist das wirklich spürbar?

Wir erleben ja schon heute, dass es immer schwieriger wird, Menschen zu motivieren, zum Beispiel kommunale Ämter zu übernehmen. Immer mehr fragen sich: Muss ich mir das wirklich antun? Angesichts dieser unerträglichen Entwicklung dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Gerade Kommunalpolitiker brauchen mehr öffentliche Bestätigung und Rückendeckung. Ich finde, dass sich der Bundestag eingehend mit der Entwicklung beschäftigen sollte. Der Mordfall Lübcke, sollte sich der Verdacht eines rechtsextremistischen Hintergrunds bestätigen, ist wieder ein Einschnitt. Eine solche Tat ist ein Anschlag auf unsere Gesellschaft und unsere Demokratie. Wir müssen über die Konsequenzen intensiv diskutieren – und entschlossen handeln.

Das Mordopfer Lübcke war vor der Tat in den sozialen Netzwerken heftig attackiert worden, weil er sich für eine humane Flüchtlingspolitik eingesetzt hatte. Was tun gegen Hass und Hetze im Internet?

Das Netz bietet neue Möglichkeiten der Kommunikation. Aber wir müssen diskutieren, wie wir miteinander umgehen wollen. Ich denke, dass fängt in den Schulen an. Manche Schüler gehen mit ihren Mitschülern in den sozialen Medien einfach brutal um. Es geht darum, wieder eine ordentliche Streitkultur zu schaffen und auch einen offenen, fairen politischen Diskurs. Es muss möglich sein, Argumente auszutauschen, ohne Hass, ohne Hetze, ohne inszenierte Shitstorms. Nicht ohne Grund fördert mein Haus den Schülerwettbewerb "Jugend debattiert". Und die eine Partei am rechten Rand muss endlich aufhören, die Grenzen zu verschieben, endlich diese doppeldeutigen Formulierungen unterlassen, wie etwa die Aussage, einen anderen Menschen zu jagen. Schließlich muss im Netz das Recht gelten. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist dazu ein erster wichtiger Schritt. Mir macht Sorge, dass von einigen, die sich als Verteidiger der Freiheit im Netz verstehen, die Ordnungsfunktion des Rechts so gering geschätzt wird. Es gibt keine Freiheit ohne eine Ordnung.

Die Große Koalition streitet über den richtigen Weg für mehr Klimaschutz. Ist es nicht höchste Zeit, zu handeln, will man die Klimaziele noch erreichen?

So viele heiße Sommer in Folge und die Häufung von Extremwetter-Lagen – das sind für die Wissenschaft mehr als deutliche Zeichen für den Klimawandel. Auch die Bürgerinnen und Bürger nehmen das wahr. Die Welt, Europa und Deutschland müssen zügig, aber auch klug darauf antworten. Dazu gehören Reduktionsziele, eine CO2-Bepreisung und die Förderung von Innovation, die mein Haus übrigens schon lange betreibt. Es bedauerlich, dass der EU-Gipfel keine Einigung gebracht hat, das Ziel der Klimaneutralität für 2050 festzuschreiben. Das wäre ein starkes Signal gewesen – auch über Europa hinaus. Die Verhandlungen müssen hier weitergehen. Und der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids muss einen Preis haben. Über das Wie werden wir uns noch bis zum Herbst verständigen. Konkret liegen Vorschläge über eine CO2-Steuer und eine Ausweitung des Zertifikate-Handels auf dem Tisch. Wir brauchen ein ausgewogenes Klimaschutz-Konzept, das auch die sozialen Auswirkungen im Blick behält.

Wie soll es aussehen?

Nötig ist ein großes Maßnahmenpakt, inklusive einer Weiterentwicklung der Mobilität. Die E-Mobilität und synthetische Kraftstoffe sind unsere Themen. Aber auch Wasserstoff und Brennstoffzellen haben ein Riesenpotenzial. Wir brauchen auch in Zukunft eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Die Automobilindustrie darf Deutschland nicht den Rücken kehren. Wir brauchen einen Innovationsschub. Unser Ziel muss eine ökologische Kreislaufwirtschaft sein.

Was heißt das konkret?

Das bedeutet: In einer Welt mit begrenzten Ressourcen wird nicht weiter wie bisher auf den Verbrauch dieser Ressourcen gesetzt werden können, sondern auf deren Erhalt einschließlich der Klimaneutralität. Unsere Art zu wirtschaften stößt endgültig an ihre natürlichen Grenzen. Um unseren Wohlstand, unsere Umwelt und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, müssen wir Wirtschaft neu denken – hin zu einer Kreislaufwirtschaft auf einer neuen technologischen Stufe. Das Ziel ist eine bessere Lebensqualität in einem umfassenden Sinn – also kein Rückschritt, sondern Fortschritt. Eine starke Wirtschaft und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen waren auch für die CDU immer Kernthemen.

Thema Bildung: Viele Abiturienten seien nicht ausreichend auf die Uni vorbereitet, beklagt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Was läuft schief im deutschen Bildungssystem?

Mängel in der Ausbildungsreife nach dem Besuch der Schule werden immer wieder beklagt. Darauf gibt es nicht die eine Antwort, weil die Ursachen vielfältig sind. Wir müssen aber unsere Anstrengungen sicher noch intensivieren. Der Nationale Bildungsrat wäre ein sehr wertvolles Forum, in dem Experten und Politik gemeinsam über Empfehlungen beraten, die Qualität der Bildung im ganzen Land zu verbessern. Die Verbesserung der Qualität ist mit der Umsetzung des Digitalpakts dabei schon im vollen Gange. Der Digitalpakt ist dabei nicht nur ein Infrastrukturpakt. Die Voraussetzung für die Verbesserung der Infrastruktur sind gerade pädagogische Konzepte der Schulen. Der Digitalpakt zielt also darauf ab, das Lernen insgesamt zu verbessern.

Beim Thema Künstliche Intelligenz droht Deutschland international den Anschluss zu verlieren. Wie wollen Sie das verhindern?

Bei der Künstlichen Intelligenz brauchen wir mehr Forschung, mehr Lehre, aber vor allem auch eine schnellere Umsetzung in die Wirtschaft hinein. Vor allem die mittelständische Wirtschaft beschäftigt sich mit dem Thema noch zu wenig. Hier werden wir mehr Beratung und Unterstützung anbieten. Wir drehen gerade an allen Schrauben, die Unterstützung für diese veränderte Arbeitswelt anbieten zu können.