Stefan Hell: „Die Zelle merkt nicht, dass wir sie beobachten“ : Datum: , Thema: Forschung
Nobelpreisträger Stefan Hell entwickelt neue Mikroskope, mit denen sich erstmalig lebende Zellen live beobachten lassen. „Das ist die Grundlage für wichtige Fortschritte in der Medizin“, sagt der Göttinger Wissenschaftler. Ein Interview mit bmbf.de.
Bmbf.de: Herr Professor Hell, Sie haben mit Ihrem Fluoreszenzmikroskop den bisher genauesten Blick in die Nano-Welt ermöglicht – und dafür den Nobelpreis für Chemie erhalten. Jetzt arbeiten Sie an einem noch besseren Mikroskop: Was ist daran neu?
Stefan Hell: Das neue Konzept, MINFLUX, wird in seinen verschiedenen Ausgestaltungen zu Methoden führen, mit denen molekulare Prozesse in lebenden Zellen live und mit hoher Geschwindigkeit verfolgt werden können. All das geschieht mit viel weniger Licht als bisher, und erlaubt längere und noch weniger invasive Beobachtungen von Molekülen – also den kleinsten Einheiten einer chemischen Verbindung.
Was bedeutet weniger invasiv?
Vereinfacht gesagt: Die Zelle merkt praktisch nicht, dass wir sie beobachten. Das Licht beeinträchtigt sie nicht oder kaum, und stört nicht die biologischen Abläufe in der Zelle.
Was haben die Bürgerinnen und Bürger davon, dass Sie lebende Zellen „bei der Arbeit“ beobachten können?
Ein tiefes und detailliertes Verständnis von molekularen Prozessen in der Zelle ist mittel- oder langfristig Grundlage für wichtige Fortschritte in der Medizin. Denn viele Krankheiten entstehen noch unterhalb der Ebene der Zellen. Mit höchstauflösender Bildgebung können sich Fehlfunktionen aufdecken lassen. Zudem können wir direkter aufklären, wie Medikamente wirken. Das alles kann und wird in Zukunft zu neuen Therapien führen.
Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Denken Sie an Parkinson: Bei dieser Erkrankung sterben Nervenzellen fortlaufend ab. Sie geht einher mit falsch gefalteten Proteinen in der Zelle, die sich nicht länger normal verhält. Diesen Prozess zu beobachten, kann der Ausgangspunkt dafür sein, die Fehlfunktion künftig irgendwie zu verhindern.
Ein kurzer Rückblick auf Ihren Nobelpreis: Wie genau gelang Ihnen der Blick in die Nano-Welt?
Um mit einem herkömmlichen Mikroskop kleinste Strukturen einer Zelle zu sehen, müssen sie einen ganz bestimmten Mindestabstand voneinander haben – andernfalls verschwimmen sie. Jenseits dieser sogenannten Beugungsgrenze des Lichts war der Blick versperrt. Ich hatte um 1994 die Idee, dass die Auflösungsgrenze ausgehebelt werden kann, indem man interne Energie-Übergänge von Molekülen geschickt einsetzt: So kann man dafür sorgen, dass nicht alle Moleküle innerhalb eines von der Beugung vorgegebenen Bereichs gleichzeitig fluoreszieren – und sie wie winzige Lichtschalter gezielt an- und ausschalten. Das war der Schlüssel, um kleine Gruppen von Molekülen oder sogar einzelne Moleküle sehr nahe beieinander auf der Nanometerebene getrennt erfassen zu können.
… und woran sind bisherige Verfahren für die Lebendzellanwendung in 3D gescheitert?
Die Aufnahme von Biomolekülen steht generell vor der Herausforderung, dass die fluoreszenten Moleküle, die man zur Markierung der Biomoleküle verwendet, nicht ewig leuchten. Wie ein bunter Pullover im Sonnenlicht bleichen sie irgendwann aus. Mein Labor hat in jüngster Zeit verschiedene Strategien aufgezeigt, wie sich das sogenannte Photobleichen deutlich reduzieren lässt. Das gelingt, indem wir direkt an den Molekülen die Dosis des Lichts, mit dem diese getrennt werden, verringern. Insbesondere für 3D-Aufnahmen, wo die insgesamt eingestrahlte Lichtdosis höher ist, sind diese Ansätze von deutlichem Vorteil.
Sie sind Nobelpreisträger und erfolgreicher Unternehmensgründer: Haben Sie ein Erfolgsrezept, das Sie an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler weitergeben können?
Der Weg von der Idee über die Forschung bis zur Innovation ist in der Regel weit. Junge Forscherinnen und Forscher sollten den Mut haben, diesen Weg zu beschreiten – und sich auch von Rückschlägen nicht beirren lassen. Das geht, wenn man Spaß daran hat.
Auch Sie haben sich nicht beirren lassen: Ihr Idee stieß in der Fachwelt zunächst auf Widerstand…
Umso wichtiger war für mich die Rückendeckung – und auch die frühe Unterstützung durch das Bundesforschungsministerium. Ohne die frühzeitige Projektförderung hätte sich der experimentelle Nachweis meiner Methode vielleicht um Jahre verzögert. Bahnbrechende Innovationen brauchen Wagemut und einen langen Atem – denn in der Wissenschaft gibt es selten den schnellen Erfolg.