Schützt Artenvielfalt vor Epidemien? : Datum: , Thema: Artenschutz
Um zu verstehen, wie Epidemien entstehen, sucht Charité-Virologin Sandra Junglen Viren, die noch keinen Kontakt zu Menschen hatten. Was sie von den Unbekannten lernen möchte und warum Artenvielfalt vor Viren schützen könnte, erklärt sie im Interview.
Frau Junglen, die meisten Menschen versuchen sich von Viren fernzuhalten. Sie hingegen suchen in den Regenwäldern Afrikas danach. Warum machen Sie das?
Sandra Junglen: Wir möchten verstehen, wie es dazu kommt, dass sich durch Stechmücken übertragene Viren – sogenannte Arboviren – geographisch ausbreiten und Epidemien auslösen können. Wir konzentrieren uns auf die ersten Ausbreitungsprozesse. Um diese verstehen zu können, müssen wir Viren in ihren natürlichen Übertragungszyklen untersuchen, bevor sie mit Menschen in Kontakt gekommen sind und quasi die erste große Hürde genommen haben.
Wieso?
Die meisten Viren, die Epidemien ausgelöst haben, stammen ursprünglich aus tropischen Regionen Afrikas und kamen dort örtlich begrenzt in Wirtstieren vor. Unser Wissen über die Ausbreitung dieser Viren ist fast ausschließlich auf die Erreger beschränkt, die es schon geschafft haben, sich aus ihrem ursprünglichen Ökosystem auszubreiten und bei Menschen und Nutztieren Krankheiten auslösen.
Sie haben bereits viele „neue“ Viren gefunden. Was machen Sie damit?
Beispielsweise sequenzieren wir das Genom der Viren. Das heißt, wir schauen Abschnitt für Abschnitt auf das gesamte Erbgut und versuchen eine erste Risikoabschätzung zu machen. Alle Informationen sammeln wir in einer Art Datenbank und erhalten so eine Übersicht über die Viren, die noch in der Natur „schlummern“. Diese Informationen helfen uns bei einer Ausbreitung einer neuartigen Infektionskrankheit den Erreger schneller zu identifizieren. Gleichzeitig können wir die Evolution der Viren nachvollziehen.
Wie meinen Sie das?
Viren müssen sich meist erst an einen neuen Wirt anpassen. Das kann beispielsweise durch eine Veränderung – eine sogenannte Mutation – des Genoms passieren. Mit unserer Datenbank können wir den ursprünglichen Erreger mit der epidemischen Variante vergleichen. So könnten wir nachvollziehen, wie sich das Virus verändert hat und anschließend experimentell untersuchen, welche Auswirkungen diese Veränderungen haben.
Haben Sie bereits Vermutungen?
Übertragungswege von Viren sind sehr komplex. Es gibt viele kritische Punkte, an denen sich Infektionen „totlaufen“ können – also nicht weiterkommen. Unser Projekt läuft noch bis 2022. Bis dahin wollen wir verstehen, welche Faktoren im Detail zusammenkommen müssen, damit ein Virus auf den Menschen übergreift.
Zunahme der Bevölkerungsdichte, weltweite Mobilität der Menschen… Sind das nicht auch entscheidende Schritte?
Ja, aber uns interessieren eher die mikroevolutionären Veränderungen zu Beginn der Ausbreitung – also sozusagen die allerersten Schritte. Ihre Punkte sind generelle Faktoren, die eine globale Ausbreitung begünstigen, wenn es schon zu einer Übertragung auf den Menschen gekommen ist. Dazu gehören auch der Wandel zur starken Landnutzung, die Verbreitung von Monokulturen oder Rodungen von Wäldern. Das führt zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändert die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen. Weniger Artenvielfalt bedeutet mehr Tiere einer Art. Wenn mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum vorkommen, können sich Infektionskrankheiten zwischen den Tieren einer Art besser verbreiten. Man kann also vereinfacht sagen: Artenvielfalt könnte auch vor der Ausbreitung von Infektionskrankheiten schützen.
Also sind Epidemien menschengemacht?
Ja, leider spielen das Eindringen des Menschen in unberührte Ökosysteme und die Globalisierung häufig eine zentrale Rolle. Beispielsweise konnten die ersten Ausbrüche von Gelbfieber im 16. Jahrhundert mit Rodungen des afrikanischen Regenwaldes in Zusammenhang gebracht werden. Das Gelbfieber-Virus zirkulierte bis dahin nur zwischen Stechmücken und Affen. Als der Mensch in deren Lebensraum vordrang breitete es sich aus – durch den Sklavenhandel über den Atlantik sogar bis nach Amerika.
Frau Junglen, wir danken Ihnen für das Gespräch.