„Jagd“ auf die Jäger der Nacht : Datum: , Thema: Forschung
In Berlin macht ein Projekt Laien zu Forschenden. Sie können Fledermäuse in der Dämmerung aufspüren und ihre Rufe aufzeichnen. Gleichzeitig wird die Bürgerwissenschaft selbst erforscht. Wer alles mitmachen kann, erklärt Projektleiterin Miriam Brandt.
Frau Brandt, Berlin gilt als Hauptstadt der Nachtschwärmer – fühlen sich vielleicht auch deshalb die Fledermäuse hier so wohl?
Miriam Brandt:(lacht) Da besteht wohl eher kein Zusammenhang. Aber es ist wirklich erstaunlich: In Deutschland gibt es 25 Arten von Fledermäusen. Davon kommen 18 in Berlin vor. So eine Vielfalt ist ungewöhnlich für eine Großstadt.
Warum ist das so?
Genau das wollen wir herausfinden. Wir untersuchen, wo genau in Berlin und in welchen Umgebungen die Fledermäuse leben. Wir erheben, welche Landschaften sie bevorzugen. Wir fragen uns: Leben sie eher in den Grünzügen, oder doch auch in stark bebautem Umfeld? Wir schauen aber auch auf andere Faktoren wie zum Beispiel die Lichtverschmutzung. Es gibt Fledermausarten, die scheinen das Licht eher zu meiden. Andere Arten kommen mit künstlichem Licht zurecht und jagen bevorzugt bei Laternen, weil sie wissen, dass sie dort viele Insekten als Nahrung finden. Wir wollen genau bestimmen, welche Faktoren gegeben sein müssen, damit sich die verschiedenen Arten im Stadtgebiet wohlfühlen.
Die Beobachtungen dazu wollen sie von ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern, also Laien, vornehmen lassen. Warum?
Weil wir die Menschen für Wissenschaft und Forschung begeistern wollen! Wir vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung haben ja schon einige Erfahrungen mit „Citizen Science“ Projekten, also mit der Einbindung von Laien. Allerdings ist die Intensität der Beteiligung jetzt deutlich höher. Bisher haben wir die Menschen aufgerufen, zufällige Sichtungen von Wildtieren zu melden, zum Beispiel Füchse oder Wildschweine. Dadurch bekommen wir wertvolle Hinweise, wo sich die Tiere aufhalten. Aus methodischen Gründen ist das aber wissenschaftlich nicht sehr aussagekräftig. Im Fledermaus-Projekt werden die Teilnehmenden in den kompletten Forschungsprozess einbezogen.
Wie soll das genau ablaufen?
Die Teilnehmenden bekommen von uns einen Fledermausdetektor, der die Ultraschallrufe der Tiere aufzeichnen und auch für das menschliche Ohr hörbar machen kann. Damit gehen sie eine von 60 festgelegten Strecken in der Stadt ab. Die sind zwischen zwei und drei Kilometer lang und werden – basierend auf einer Vorauswahl der Teilnehmenden - zugewiesen. Wir haben vorher Punkte festgelegt, an denen dann mit dem Detektor erfasst wird, ob Fledermäuse in der Nähe sind. Die Strecke muss innerhalb von zwei Wochen im Mai zwei Mal abgegangen werden.
Und dann ist der Einsatz beendet?
Nein, noch lange nicht. Die Teilnehmenden erheben die Daten selbst und laden sie zur Auswertung auch selbst auf die Internetplattform. Auch die Auswertung übernehmen sie selbst, das heißt die Teilnehmenden können in einem speziellen Bereich der Internetplattform die Daten analysieren und Fragestellungen beantworten, die sie interessieren. Die Ergebnisse können sie dann im Forum mit den WissenschaftlerInnen und den anderen Teilnehmenden diskutieren. Das ist sehr ungewöhnlich und umfangreich für Projekte mit Bürgerbeteiligung. Alleine die fachliche Auswertung der Fledermausrufe nehmen die Expertinnen vor. Die geben den Teilnehmenden dann Rückmeldung, welche Arten sie erfasst haben.
Welche Kriterien müssen Interessierte erfüllen?
Sie müssen volljährig und ausreichend mobil sein, um die Strecken zurücklegen zu können. Und besonders wichtig: Sie müssen nicht nur Lust auf einen netten Abendspaziergang haben, sondern darauf, selbst Forschung zu betreiben und alle Aspekte eines wissenschaftlichen Projektes zu erleben. Dazu gehören auch zwei Fragebögen, für die man jeweils etwa eine Stunde Zeit zum Ausfüllen benötigt. Wer diese drei Dinge erfüllt, ist herzlich eingeladen, am Projekt teilzunehmen – noch gibt es freie Plätze und wir nehmen gerne Bewerbungen entgegen. Bewerben kann man sich auf www.fledermausforscher-berlin.de.
Geht es in dem Projekt wirklich um Fledermäuse, oder doch eher um die Menschen?
Beides. Es gibt eine zweite Ebene. Wir entwickeln eine neue Methode, um Menschen für den Wissenstransfer in die Forschung einzubinden. Mit den Fragebögen untersuchen unsere Partner, was die Teilnehmenden aus dem Projekt mitnehmen. Das Konzept der „Citizen Science“ ist umstritten. Es gibt Forschende, die das komplett ablehnen. Andererseits werden damit sehr hohe Erwartungen verknüpft: Citizen Science soll zum Beispiel bewirken, dass mehr Menschen verstehen, wie Wissenschaft funktioniert. Ob das so überhaupt funktioniert, ist bisher noch sehr wenig erforscht. Wir haben uns zum Ziel gesetzt zu überprüfen, welche dieser Erwartungen Citizen Science erfüllen kann. Dabei geht es auch darum zu verstehen, wie Projekte gestaltet sein müssen, damit wir die Wissenstransfer-Ziele erreichen.
Was ist denn aus Ihrer Sicht der Vorteil solcher Ansätze?
Für mich sollte Citizen Science eine win-win-Situation sein. Die Bürgerinnen und Bürger helfen den Forschenden Datensätze zu erheben, die anders gar nicht zustände kämen. Oder eben nur mit erheblichem Aufwand. Umgekehrt glaube ich schon, dass die Teilnehmenden wichtige Erfahrungen machen. Und ich hoffe, dass wir den Menschen vermitteln können, dass sich Artenvielfalt nicht nur in fernen Regenwäldern abspielt, sondern direkt vor unserer Haustür.
Frau Brandt, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.