Erfolgsgeschichte: Augenprothese aus dem 3D-Drucker

Meldung , 29.09.2023

Von kleinsten Sensoren bis zu riesigen Gebäuden – der 3D-Druck hält Einzug in viele Branchen, auch in die Medizin. Für den Druck von Augenprothesen haben Forschende im Rahmen des Förderprogramms „Eurostars“ eine Software entwickelt.

In der thüringischen Stadt Lauscha entdeckte der Glasmacher Müller-Uri im Jahr 1935 das Kryolithglas. Damit revolutionierte er die Herstellung von Kunstaugen. Heute, knapp 80 Jahre später, formiert sich der nächste große Schritt in der Augenprothetik. „Click2Print Artificial Eyes“ (C2PAE) lautet der Name des Projekts, in dem ein deutsch-britisches Team einen neuen, komplett digitalen Weg für die Herstellung von Augenprothesen eingeschlagen hat. Gefördert wird das Projekt vom BMBF im Rahmen des KMU-Programms „Eurostars“.

Die Software „übersetzt“ Aufnahmen in eine digitale Prothese

Die Forschenden von C2PAE verbinden den 3D-Druck auf der einen mit dem digitalisierten Krankenhaus auf der anderen Seite. Das Herzstück des Ganzen ist das Programm „Cuttlefish:Eye“. „Wir können nun anhand von optischen Bilddaten, die wir beim Patienten oder bei der Patientin mit einem OCT-Gerät aufnehmen, Augenprothesen digital erstellen und anschließend mit einem Vollfarb-3D-Drucker fertigen“, erklärt der Informatiker Johann Reinhard. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich 3D-Druck beim Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, das am C2PAE-Projekt beteiligt ist. OCT steht für „optische Kohärenztomografie“ und ist ein bildgebendes Verfahren, das auf nicht ionisierender Strahlung basiert, eine Art Tiefenbild vom Gewebe. Aus diesen Bildern gewinnt man Information über das benötigte Volumen, die Größe und die Form der Augenprothese, ohne Strahlungsbelastung für den Menschen. „Die üblichen OCT-Geräte haben allerdings keine Farbkamera“, ergänzt Reinhards Chef, Prof. Dr. Philipp Urban, der beim Fraunhofer IGD das Kompetenzzentrum für 3D-Druck-Technologie leitet. Für die Herstellung des 3D-Kunstauges sind die Geräte mit Kameras und einer speziellen Beleuchtung ausgestattet worden. „Das ist wichtig für die Aufnahme des gesunden Auges, das als Vorlage dient, um die Prothese optisch anzugleichen.“

Reinhard hat die Software entwickelt und für die Modellierung 3D-Scan-Daten von etwa 150 Prothesen verwendet. „Es ist eine translatorische und datengetriebene Designsoftware“, erklärt er. „Vereinfacht heißt das: Hinein kommen die Daten der Person, und heraus kommt ein virtuelles 3D-Modell der Augenprothese mit einem individuellen Farb-Design.“ Die Software ist so programmiert, dass die Iris, die Pupille und die Sklera samt Blutgefäßen möglichst gut und passend zum gesunden Auge nachgebildet werden.

Erste vollautomatisch erstellte Augenprothese

Vollautomatisch gestaltete Augenprothesen aus dem 3D-Druck – wie lange gibt es sie schon? „Noch gar nicht“, sagt Reinhard: „Wir sind die Ersten.“ Zwar hätte es vor einigen Jahren bereits Ansätze gegeben, künstliche Augen im 3D-Druck herzustellen. Diese seien allerdings noch mit Hand bemalt oder manuell geformt worden. In Deutschland und Europa werden Augenprothesen seit 100 Jahren händisch in einem aufwändigen Verfahren hergestellt – aus Kunststoff oder Glas.

„Bei uns verläuft der ganze Prozess digital, nur zum Schluss muss die Prothese poliert und vom Ocularisten eingesetzt werden“, sagt Reinhard. Die 3D-gedruckten Prothesen sind aus Kunststoff, sie sind formstabil und können in jeder Hinsicht mit den handgefertigten Kunstaugen mithalten, so der Informatiker. Er berichtet, dass Patientinnen und Patienten bei den neuen Prothesen bislang keinen Unterschied zu den herkömmlichen festgestellt haben. Die ersten Tests fanden im Moorfields Eye Hospital in London statt, dem in Europa größten Krankenhaus mit dem Spezialgebiet Augenheilkunde. Das Feedback aus dem Krankenhaus half dem Forschungsteam, die Augenprothesen aus dem 3D-Drucker stetig zu verbessern.

Reinhard sieht als Qualitätsmerkmal bei den neuen Prothesen die gute Haftung an: „Wenn ein Mensch ein Auge verliert, wird eine Kunststoff- oder Keramikkugel in der Augenhöhle implantiert und daran die Augenmuskeln befestigt. Darüber wird das Gewebe geklappt und darauf kommt die Augenprothese. Zwischen diesem Gewebe und der Prothese gibt es noch eine gewisse Mobilität, die es erlaubt, die Prothese zu bewegen. Und hier ist die Haftung ein wichtiger Aspekt.“

Schneller, günstiger, genauer

Von der neuen Software erhoffen sich Reinhard und Prof. Urban aber noch weitere Vorteile: einen geringeren Kosten- und Zeitaufwand bei der Herstellung von Augenprothesen und letztendlich einen günstigeren Preis sowie eine gleichbleibend hohe Qualität. „Im Moment hängt es sehr stark von den Fähigkeiten des Ocularisten ab, wie gut die Prothese am Ende ist. Mit unserer Software können wir eine gewisse Konsistenz versprechen, weil wir immer die gleichen Algorithmen verwenden und den gleichen Druckprozess.“ Sollte eine Prothese erneuert werden, liegen alle Daten vor, ein Ersatz kann innerhalb eines Tages gedruckt werden. Zum Vergleich: bis jetzt dauert es etwa vier bis sechs Wochen, bis der Patient eine Augenprothese aus Kunststoff erhält. Ungefähr alle zwei Jahre muss eine solche Prothese ausgetauscht werden.

Die innovativen Augenprothesen sind für den Gebrauch in Großbritannien bereits als medizinisches Produkt zugelassen und werden dort verkauft. Derzeit arbeitet das C2PAE-Team daran, die 3D-gedruckten Augenprothesen flächendeckend auf den europäischen und US-Markt zu bringen. Dafür verbessern die Forschenden seit dem Projektende die Benutzeroberfläche der Software. Zudem ist eine Cloud-basierte Anwendung geplant.